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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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oder vierzehn Häusern, welche, wie oben beschrieben, ein Viereck um den Mittelplatz bildeten. Die Gärten prangten in Blumen, und hinter ihnen dehnten sich schöne Orangenhaine aus, an welche dann die Fruchtfelder stießen. Eine Schar von Kindern kam uns jubelnd entgegen; sie freuten sich darüber, daß Fremde kamen. Wir fragten sie nach der Venta, dem Gasthause, und hörten, daß dieses hier den viel stolzeren Namen Posada führe. Der Wirt wurde Don Geronimo de Magujo genannt. Sein Haus war das größte des Dorfes, zwar auch nur einstöckig aber sehr langgestreckt, so daß es zwei Thüren besaß. Don Geronimo empfing uns mit einer stolzen, selbstbewußten Liebenswürdigkeit, wie ein König seine Gäste empfängt. Als wir ihn fragten, ob wir bei ihm nächtigen könnten, stellte er uns sein ganzes Haus, sein ganzes Vermögen zur Verfügung. Ich nahm dies natürlich für bloße Redensart und erklärte mich mit einer Stube für uns drei und einem Corral (Stall) und Maisfutter für die Pferde zufrieden.
    »Tretet herein in das Gastzimmer, Sennores,« sagte er, »und geduldet Euch zwei Augenblicke, bis man Euch Eure Sala vorgerichtet hat!«
    Also eine »Sala«, einen Saal sollten wir bekommen! Hätte ich die hiesigen Verhältnisse nicht bereits gekannt, so wäre es mir wohl angst um die Bezahlung geworden.
     

    Wieder drangen Klagelaute aus dem Fenster. Ich stand auf und hielt das Ohr an das Loch, doch so, daß ich von innen nicht bemerkt werden konnte.
     
    Das Gastzimmer bestand aus einem kahlen Raum mit gestampfter Diele, einem Tische und einigen Stühlen. Die Fensteröffnungen waren mit geöltem Papiere verklebt. Auf meine Frage nach Speise und Trank erklärte er, daß bei ihm alles Menschenmögliche zu bekommen sei; bei näherem Eingehen auf das Specielle aber stellte sich heraus, daß dies Menschenmögliche nur aus einer Kaffeetasse voll Mate 3 und einem sehr zähen Asadobraten bestand. Ich war frugal gewöhnt und fügte mich in die Umstände.
    Ein Knecht hatte unsere Pferde in den Corral geschafft. Ich ging hinaus, um nach ihnen zu sehen. Für sie war besser gesorgt als für uns. Sie hatten Wasser, Gras und Mais die Hülle und Fülle. Dann machte ich mit meinen Tobas einen Spaziergang durch und um das Dorf. Die Bewohner selbst rüsteten sich zur morgigen Palmsonntagfeier. Selbst die kleinste Hütte war mit Palmen geschmückt, die hier allerdings billig zu haben waren. Dann kehrten wir nach der Posada zurück und erfuhren, daß unsere Sala noch nicht ganz vorgerichtet sei. Endlich, nach langem Warten, kam der Knecht, um sie uns anzuweisen. Wir mußten zur zweiten Hausthüre hinein und fanden ein kleines, vollständig leeres Loch, aus welchem uns ein schrecklicher Geruch entgegenkam. Wer weiß, was alles hier gelegen hatte und wegen uns fortgeräumt worden war! Ich frug nicht darnach und sagte dem Knechte, daß wir doch lieber hinter dem Hause im Freien schlafen wollten. Er machte eine sehr gravitätische Körperbewegung, warf den Kopf in den Nacken und meinte:
    »Die Sennores können thun, was sie wollen; aber diese Sala ist für sie bestellt und bestimmt und muß bezahlt werden.«
    Darüber war es dunkel geworden. Gegessen hatten wir, und so schleppten wir, da wir vom heutigen langen Ritte ermüdet waren, unsere Sättel und Decken hinter das Haus, wickelten uns in die Ponchos 4 und schliefen ein, ohne uns durch den Lärm der festlich gestimmten Dorfbewohner irre machen zu lassen.
    Ihr Lachen, Schreien, Rufen und Singen störte mich nicht. Bei solchem Lärm kann ein Prairiejäger ganz gut schlafen; aber kleine, charakteristische Geräusche, auf welche ein anderer gar nicht achtet, die sind es, welche ihn aus dem tiefsten Schlafe wecken können. So auch hier. Ich wachte plötzlich auf; ich hatte etwas gehört, ohne aber zu wissen, was. Ich lauschte. Das Dorf lag in tiefster Ruhe; die Leute von Frutobamba waren schlafen gegangen; es war zur Zeit des Vollmondes, welcher hoch am Himmel stand und die Umgebung hell beleuchtete; ich konnte aber nichts sehen, was mich gestört haben könnte.
    Schon wollte ich den Kopf wieder sinken lassen, da klang ein eigentümlicher Ton an mein Ohr; es war wie ein Schmerzensruf aus einer tiefen Grube. Nach kurzer Zeit hörte ich es wieder, und zwar länger als vorher. Es kam von oben, nicht von unten. Wir lagen an der hintern Mauer des Hauses, und in dieser befand sich grad über mir ein Fenster, nämlich ein Fenster nach dortigen Begriffen; eigentlich war es ein vollständig offenes

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