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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Mauerloch von so geringer Größe, daß man nicht einmal den Kopf hindurchstrecken konnte. Ich erinnerte mich, daß unser »Saal« ein solches Fenster gehabt hatte, und als ich über die Oertlichkeit nachdachte, fand ich, daß wir unter dem Fenster dieser Sala lagen. Sollte dieselbe einen andern Besitzer bekommen haben? Wieder drangen Klagelaute aus dem Fenster. Ich stand auf und hielt das Ohr an das Loch, doch so, daß ich von innen nicht bemerkt werden konnte. Da hörte ich sehr deutlich sporenklingende Schritte. Es ging jemand drinnen auf und ab im Finstern, denn es brannte kein Licht, sonst hätte ich den Schein desselben sehen müssen. Und nun vernahm ich deutliche Worte. Befanden sich mehrere Personen in der Sala? Oder sprach der Mann mit sich selber?
    »O Mutter, Mutter!« seufzte es. »Tot – tot – – – tot!
Que angustia, que martirio
– – welche Angst, welche Qual!«
    Hierauf folgte ein langgezogenes »Huh!« wie man es wohl von einem Frierenden zu hören bekommt, und dann jammerte es weiter.
    »Und der Vater, der Vater! Lebt er noch? Habe ich ihn auch gemordet? Warum finde ich ihn nicht?
Ah, que desgracia, ay, que pena
– o, welches Unglück, o welcher Schmerz!« Es lief mir eiskalt über den Rücken. Der Mann da drinnen wurde von seinem Gewissen gefoltert. Oder war er ein Wahnsinniger, der sich seine Qualen in der Einbildung schuf?
    Ich horchte und hörte weiter:
    »
O, cielos, cielos, cielos
– o Himmel, Himmel, Himmel! Ein Verbrechen, ein Verbrechen! Nach – nach – nach – Erlösung schreien – – – Zunge – Zunge – am Gaumen klebt;
o desdichado de mi,
o ich Unglücklicher!«
    Was waren denn das für Worte. So hatte ich doch zu Perdido gesagt! Sollte er etwa – – –? Nein! Dieser freche Gottesleugner, dieser hartgesottene Bösewicht konnte unmöglich so zerknirscht sein. Und doch waren es meine Worte, und ich mußte daran denken, daß er sich so oft von unserem Lager entfernt hatte, um mit sich selbst zu reden. Sollte er es doch sein? Sollte sein Grimm gegen den Glauben nur eine, allerdings entsetzliche Maske sein, unter welcher die Qualen der Reue sein Inneres durchwühlten?
    »Kreuzestod, Kreuzestod!« erklang es wieder. »Für wen, für wen? Für mich? Wahnsinn – – Wahnsinn – – Wahnsinn! Auferstehung? Christ ist erstanden?! Hahahaha!«
    Dieses Lachen klang so wahnwitzig und zugleich so trostlos, daß mich ein Grauen überlief. Die langsamen Sporenschritte klangen fort und fort, dazwischen ächzte und stöhnte der Mann zum Herzbrechen. Dann kreischte er plötzlich auf, als ob eine Faust sich um sein Herz gekrallt hätte:
    »
Perdido, Perdido,
der Verlorene! So heiße ich; so habe ich mich selbst genannt! Wer wird mich
Hallado
nennen,
Hallado,
den Wiedergefundenen?
Aleman mald cido,
– verfluchter Deutscher! Dein Stachel ist’s, Dein Stachel, ja, der Deinige!«
    Jetzt konnte kein Zweifel mehr sein: es war Perdido! Welch ein Zufall! Wie kam er hierher? Was wollte er hier? Nun ich wußte, wer der Mann war, erschien es mir als Unrecht, noch länger zu lauschen. Ich legte mich wieder nieder und hüllte mich gegen die nächtliche Kühle in meinen Poncho; aber es vergingen Stunden, bis ich den Schlaf wieder fand. Darum wachte ich nicht auf, als die Zeit dazu gekommen war, sondern der Toba Manuel weckte mich. Ich erzählte den drei Gefährten, daß Sennor Perdido sich in der Posada befinde; da fragte Mateo angelegentlich:
    »Werden wir weiterreiten, Sennor?«
    »Ja.«
    »Das ist gut! Laß uns gleich aufbrechen!«
    »Gleich? Warum?«
    »Daß wir nicht von diesem Perdido gesehen werden.«
    »Wir werden erst am Gottesdienste teilnehmen. Fürchtest Du Dich vor Perdido?«
    »Nein. Aber er haßt Dich und hat Dir Rache geschworen. Er wagt es nicht, Dich offen anzugreifen, denn Du würdest ihn besiegen; aber er wird aus dem Hinterhalte auf Dich schießen.«
    »Pah! Ich sehe mich vor!«
    »Sennor, thu mir den Gefallen und geh’ gleich jetzt mit fort! Du weißt, wie lieb ich Dich habe. Ich würde sterben, wenn er Dich tötete.«
    »So wirst Du niemals sterben, denn er tötet mich nicht.«
    Damit mußte sich der brave Toba zufrieden geben. Wir gingen in das Gastzimmer, um den Mate dort zu trinken. Wir waren noch nicht fertig, so kam Perdido herein. Man sah es ihm an, daß er die halbe Nacht durchjammert hatte. Als er uns erblickte, fuhr er mit der Hand nach dem Messer und stieß einen Fluch aus, besann sich aber doch eines Bessern und ging wieder hinaus.
    Draußen tönten Schüsse; es

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