Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
waren Freudenschüsse, um das Fest einzuleiten. Die Hütten des Dorfes waren leer, denn die Bewohner derselben befanden sich im Freien. Mehrere von ihnen gingen dem Wanderfrater aus Cochabamba entgegen, welcher kommen wollte, um den Gottesdienst abzuhalten. Er kam wie ein Prophet des alten Testamentes, ein ernster Mann in härenem Gewande, mit tiefliegenden, weltfremden Augen. In der Mitte des freien Platzes war ein kleiner Palmenaltar errichtet worden. Jedermann hatte eine Palme in der Hand, und jedermann rief demjenigen, den er noch nicht begrüßt hatte, ein freudiges Hosianna zu. Der Gottesdienst war einfach, so, wie ich es mir für diese kleine Gemeinde in so abgelegener Gegend gedacht hatte, und doch ist mir die Feier dieses
Domingo de ramos,
dieses Palmsonntages stets treu im Gedächtnisse geblieben, treuer als manche andere, bei welcher die Festfreude unter der Festunruhe und Festarbeit erstickte.
Gern hätte ich mich mit dem Frater unterhalten, aber er mußte schnell wieder fort, nach einem andern, mehrere Stunden entfernten Dorfe. Ich konnte ihm nur die Hand drücken und mich bedanken.
Nun trieb Mateo zum Aufbruche; aber wir waren ja Herren unserer Zeit, und ich wollte erst essen. Ich hatte mir ein Mittagsmahl bestellt und von dem Wirte das Versprechen bekommen, daß es ein wahres Festmahl sein solle. Als wir in die Gaststube traten, saß Perdido am Tische und sah mir hohnlächelnd entgegen. Früh, als wir diesen Platz gehabt hatten, war er nicht hingekommen, nun glaubte er, wir würden, weil er da saß, uns auch vor ihm genieren. Ich ging aber hin und setzte mich nieder, so thuend, als ob er gar nicht vorhanden sei. Das brachte ihn auf und er warf mir die spöttische Frage hin:
»Nun Sennor, ich sehe, daß Sie den
Domingo de
ramos
mit diesen hochintelligenten Dorfleuten begehen. Mir scheint, Sie sind der Esel, auf welchem der Palmsonntag hier eingezogen ist. Denn ein Esel war es doch damals, nicht?«
Ein Glück für ihn, daß ich ihn während der Nacht belauscht hatte, sonst hätte ich ihn sofort niedergeschlagen. Statt dessen antwortete ich in aller Ruhe:
»Sie können mich nicht beleidigen, Sennor Riberto. Sie sind ein – – –«
»Ich heiße nicht Riberto!« fuhr er mir zornig in die Rede.
»Und haben doch Ihren Vater, den alten Bankier Riberto vergeblich gesucht!« warf ich ihm hin, indem ich seinen Blick mit dem meinigen festpackte.
Er erschrak.
»Wer – – wer – wer hat Ihnen – – – – –« stammelte er.
»Das ist Nebensache; kurz und gut, ich weiß es. Sie sind jener verlorene Sohn, welcher seine Mutter in den Tod und seinen Vater in das Elend trieb. Die Liebe einer Mutter ist ohne Grenzen, und selbst der strengste Vater kann barmherzig sein. Die beiden würden Ihnen vielleicht verzeihen, aber Sie können sie nicht um Vergebung bitten. Wenden Sie sich an den Heiland der Welt, der allein Sie retten kann! Er ist heute bei allen Gläubigen eingezogen und möchte auch bei den Verlorenen, auch bei Ihnen Einzug halten. Oeffnen Sie ihm Ihr Herz! Es ist heute
Domingo de ramos,
der Sonntag der Palmenzweige, welche das Zeichen des Friedens, der Versöhnung sind. Söhnen Sie sich mit dem himmlischen Richter aus; dann wird Ihr Gewissen Sie nicht mehr des Nachts vom Lager treiben, daß Sie nach Vergebung und Erlösung wimmern! Warten Sie nicht, bis Ihnen die Zunge am Gaumen klebt und Sie nicht mehr um Gnade bitten können!«
Sein Mund öffnete sich; seine Augen schienen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen, und sein Gesicht bekam infolge des Blutandranges nach dem Kopfe eine blaurote Färbung. Er erhob sich, mich immer groß anstarrend, langsam von seinem Stuhle, indem er sich mit beiden Händen schwer auf die Platte des Tisches stützte; er schien sprechen zu wollen und doch nicht zu können. Dann endlich stieß er mit aller Anstrengung hervor:
»
Perro, maldito
– Hund, verfluchter! Das bezahlst Du mir mit Deinem Leben!«
Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel; da aber stand ich aufrecht vor ihm, faßte ihn bei den Oberarmen, drückte ihm dieselben so fest in die Seiten, daß er stöhnte, und sagte ihm:
»Wenn jemand etwas zu bezahlen hat, so sind Sie es, Riberto! Ihre Drohungen belache ich. Wenn ich will, so drücke ich Ihnen den Brustkasten ein wie einem armen Sperlinge, und Sie – – –«
Ich kam nicht weiter; ich wurde unterbrochen. Bei der Scene, welche sich im Zimmer abspielte, hatten wir nicht beachtet, daß mehrere Reiter angekommen und draußen abgestiegen
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