Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
Perdido. Er sah uns nicht eher, als bis er um die Felsen bog. Sein Gesicht zeigte, daß es ihm höchst unlieb war, von uns bemerkt zu werden. Er ritt in gerader Richtung weiter, bis er nach einiger Zeit hinter dem Horizonte verschwand. Ich war überzeugt, daß er nach dem Dorfe zurückkehren werde, um uns dann bei Nacht zu beschleichen. Darum suchten wir, als es zu dunkeln begann, ein kleines Calisayawäldchen auf, welches eine halbe Stunde entfernt war und uns Sicherheit bot.
Am andern Morgen kehrten wir nach dem Felsen zurück und hatten das Vergnügen, Perdido wieder kommen zu sehen. Er hatte uns während der Nacht nicht mehr gefunden und wunderte sich nun jedenfalls außerordentlich darüber, daß wir doch noch an derselben Stelle lagerten. Er ritt wie gestern vorüber, ohne zu thun, als ob er ein Interesse für uns habe. Am Abende suchten wir natürlich das Calisayawäldchen wieder auf. Ganz genau dasselbe wiederholte sich auch am folgenden Tage, und es war nun mehr als gewiß, daß Perdido es auf mich abgesehen hatte. Er wollte sich rächen, aber aus dem Hinterhalte.
So waren drei Tage vergangen; wir hatten während derselben vom Fleische der Pampashasen gelebt, welche es hier mehr als zur Genüge gab. Am Donnerstag früh konnten wir endlich aufbrechen, denn der Fuß des Pferdes war ziemlich geheilt. Es fiel uns natürlich nicht ein, unsern Weg über das Dorf zu nehmen. Wir wollten von demselben und denen, die sich dort befanden, gar nichts wissen.
Wir befanden uns noch auf bolivianischem Gebiete. Es giebt dort Gegenden, in denen man im Verlaufe von zwei Tagen aus der heißen Zone bis hinauf in die Region des ewigen Schnees gelangen kann. Das war nun bei uns nicht der Fall, doch die Veränderung der Luft und Wärme, der landschaftlichen Scenerie, war immerhin eine ziemlich bedeutende. Wir stiegen aus der Region der Thalstufen nach der Puna 6 empor.
Je höher wir kamen, desto kühler wurde es, und die zunehmende Dünne der Luft machte sich besonders an unsern Pferden bemerklich. Es gab keine sanften Hügel, keine rundgezeichneten Höhenrücken mehr. Steile Felsenberge türmten sich, einer immer höher als der andere, neben und hinter einander auf; zwischendurch führten Schluchten welche oft kaum Platz für zwei Reiter hatten. Dann gab es wieder gigantische Trümmerhaufen, welche das Aussehen hatten, als ob mehrere Berge da gegen einander geworfen worden und in unzählige Stücke zerborsten seien. Da war ein schweres Vorwärtskommen.
Wir mußten hoch hinauf nach einem Längenthale. Wenn wir diesem folgten, konnten wir dann am Ostertage jenseits nach der Pampa de Salinas hinunter steigen.
In diesem Gebiete fehlen die Bäume gänzlich; nur Gräser wie
Yareta, Valeriana
und
Gentiana
sind zu finden, und nur höchst selten sieht man einmal einen dünnen Busch am Wege. Dagegen kann man hier schon wilde Kamelziegen finden.
Es war am Karfreitag gegen Abend, als wir, fast ebenso ermüdet wie unsere Pferde, uns nach einem Platze umschauten, welcher uns für die Nacht Schutz gegen den durchdringend kalten Wind gewährte. Wir ritten an einer beinahe senkrecht aufsteigenden Höhe hin da hielt ich, beinahe erschrocken, mein Pferd an, denn über uns erklang der Ton eines Glöckchens, und dann hörte ich von einer wohltönenden Stimme die fremdartigen aber deutlich und langsam gebeteten Worte:
»
Muchaycus cayki Maria Diospa gracianhuan huntascam canki. Apunchik Diosmi camhuan huarmicunamanta collananmi canki. Uicsaikimante pacarimuk Jesu huahuaykiri collananrakmi. Oh Santa Maria virgen Diospa maman, ñocaycu huchasapa
cunapak muchapuchuaycu cunan huañuyñiycu pachapipas. Amen!
«
Man denke, wie ich staunte! Das war die Sprache der Inkas, der altperuanischen Sonnensöhne, die Hofsprache eines groß- und eigenartigen Kulturreiches, dessen Säulen längst in Trümmer liegen! Und was bedeuteten die Worte, welche ich hier absichtlich anführe, um eine Probe dieser berühmten Inkasprache zu geben? Es war unser Ave Maria, unser englischer Gruß, ganz genau und wörtlich! Das Gebet wurde zweimal wiederholt; der Beter mußte ein Christ, aber ein Abkömmling der Sonnenkinder sein. Als das dritte Amen verklungen war, rief ich hinauf. Es verging eine kleine Weile, bis als Antwort die Frage herunterschallte:
»Wer ist da unten?«
»Ein guter Christ, ein Fremder aus Europa, der für das Abendläuten danken möchte.«
»Allein?«
»Es sind zwei Tobaindianer bei mir; wir sind zu Pferde.«
»Bleiben Sie da unten halten und
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