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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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warten Sie!«
    Die Stimme, welche mir antwortete, war eine andere als diejenige, welche vorher gebetet hatte. Es befanden sich also wenigstens zwei Menschen auf der Felsenhöhe. Wir stiegen ab und warteten. Nach vielleicht zehn Minuten kam ein Mann um die vor uns liegende Felsenecke. Er ging barfuß und barhäuptig und trug ein langes, kaftanartiges Gewand, an dessen Leibschnur ein Rosenkranz hing. Langes, schneeweißes Haar wallte ihm bis auf den Rücken herab. Er betrachtete uns, besonders mich mit scharfem, strengem Auge und fragte dann:
    »Sie sind ein Europäer, Sennor? Wie heißen Sie?«
    »Mein eigentlicher Name wird Ihnen wohl nichts nützen,« antwortete ich. »Hier hat man mich den Rastreador genannt.«
    »
Hala!
So sind Sie der Aleman, welcher auf der Pampa de Salinas den Sendador besiegte und ihn von der Felsenwand zur Höhe holte?«
    »Ja.«
    »Dann willkommen, Sennor! Es darf niemand zu uns hinauf; Sie aber sollen in der Wohnung des Büßers in der Wildnis aufgenommen werden. Kommen Sie!«
    Er führte uns um die erwähnte Ecke. Dort war der Fels bis hoch empor geteilt; unten füllten diesen Riß Steintrümmer an. Es war ein Kunststück, mit den Pferden darüber hinweg zu kommen. Der Alte half uns dabei. Es kam auch noch ein anderer Helfer, auch ein weißhaariger Greis, doch augenscheinlich ein Indianer und nach der Weise der Cordilleros gekleidet.
    »Das ist mein Freund und Bruder Ollco, dessen Gebet Sie hörten,« sagte der erstere. »Als er noch unter die Leute ging, wurde er der rote Gambusino genannt.«
    Welch ein Zusammentreffen! Da konnte ich den Gambusino warnen. Hinter dem Geröll verbreiterte sich der Riß zu einem hofartigen Raume, in welchem zwei zahme Lamas waren. Große Haufen Punakräuter lagen da. Das gab Platz und Futter für unsere Pferde. Als wir dieselben abgezäumt und versorgt hatten, wurden wir nach dem hintersten Winkel des hofartigen Raumes geführt. Dort ging im Rücken des Felsens ein schmaler aber sicherer Pfad empor, welcher oben in ein höhlenartiges Loch mündete, groß genug, zwanzig Menschen aufzunehmen; daneben gab es eine zweite, kleinere Abteilung. Da, wo dieses Loch nach vorn mündete, wo wir unten am Felsen gehalten hatten, war ein hohes Kruzifix errichtet, und daneben hing die kleine Glocke, deren Stimme wir gehört hatten.
    Der alte Inka ging in den Nebenraum, um dort für ein Lager für uns zu sorgen; der andere sagte:
    »Sennor, Sie müssen uns für heute entschuldigen. Ich habe zu büßen und zu beten, und es ist der größte, ernsteste Tag des Jahres heute; aber morgen bin ich ganz der Ihrige. Da drin ist Ihr Schlafgemach, wo Sie auch essen werden.«
    »Ich danke, Ehrwürdiger,« antwortete ich. »Es ist der
Viérnes santo,
an welchem Christus starb; da essen und trinken wir nicht.«
    Er neigte billigend den weißen Kopf, und ich fuhr fort:
    »Darf ich, um Sie nicht später zu stören, Ihnen etwas Wichtiges mitteilen?«
    »Ja, Sennor Rastreador.«
    »Es werden drei Comerciantes kommen, welche ich belauscht habe. Sie scheinen es auf den alten Gambusino abgesehen zu haben, von dem sie glauben, daß er sehr viel Gold bei sich habe.«
    Es ging ein trübes Lächeln über sein greises Angesicht, als er antwortete:
    »Gold und immer Gold! Das ist der Teufel, dem so viele Tausende von Seelen verfallen. Der Gambusino hat nicht so viel Gold, daß er sich eine Stecknadel dafür kaufen könnte.«
    »Dennoch bitte ich, Ihre Vorbereitungen zu treffen. Diese Menschen glauben, daß er welches hat. Es ist auf sein und wohl auch auf Ihr Leben abgesehen.«
    »Mein Leben ist in Gottes Hand noch weniger als ein Sonnenstäubchen, welches in einem Augenblicke kommt und verschwindet. Beruhigen Sie sich! Es kommt ohne unsern Willen kein Fremder so weit an uns heran, daß er uns schaden könnte. Sind Sie müde, Sennor?«
    »Ja,« sagte ich mehr aus Rücksicht für ihn als der Wirklichkeit gemäß.
    »So werden sie mir leichter verzeihen, daß ich Sie bitte, zur Ruhe zu gehen. Die Gesetze dieser Felsenzelle sind sehr streng.«
    Er deutete nach der Schilfmatte, welche die zweite von der ersten Abteilung trennte. Wir schlugen sie zurück und traten hinein. Es gab da vier Lager, aus trockenem Gras bereitet, und eine primitive Kürbislampe, weiter nichts. Der Gambusino, welcher diese Lampe angebrannt hatte, wünschte uns »
buenas noches
« und ging dann fort. Wir waren allein und legten uns nieder.
    Ich habe mich in vielen, vielen außergewöhnlichen Situationen befunden, aber die heutige

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