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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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segensreicher Thätigkeit; sie berücksichtigen die Eigenart und die Menschenrechte des Indianers, und dieser verehrt in den frommen Vätern nicht nur die Verkündiger eines selig machenden Gottesglaubens, sondern auch die leiblichen Wohlthäter seiner Rasse.
    Es wird sehr viel über den rachsüchtigen, mordlustigen, hinterlistigen Charakter des Indianers gesprochen und geschrieben; aber man bedenke seinen Bildungsgrad, man bedenke ferner, daß er aus einer Reservation in die andere gedrängt wird, daß er Jahrhunderte lang weichen und immer wieder zurückweichen mußte, obgleich er seine Heimath ebenso liebt wie wir, und man wird gerechter von ihm denken. Man gehe hinüber in seine Wigwams und gewinne sein Vertrauen, so wird man ihn als den uneigennützigsten und aufopferndsten Freund kennen lernen, dem alle Lüge, Hinterlist und Verstellung fern liegt. Was die »Rothhaut« jetzt ist, das ist sie durch das Bleichgesicht geworden. Das Christenthum möchte diese reichbegabte Rasse gern vom Untergange retten, aber es ist – – zu spät! Nur Eins ist den Boten Gottes möglich: das Abscheiden des Indianers zu einem friedlichen zu machen. Aber wird dies geschehen? Jetzt gleicht der wilde Westen einem Sterbebette, auf welchem die Rothhaut unter den schmerzhaftesten Convulsionen mit einem blutigen, unfreiwilligen Tode ringt. Darf man sich wundern, daß er unter diesen Todeszuckungen die Fäuste ballt und seinen Peiniger trifft? Ist es ein Wunder, daß ein Jeder, der sich diesem Todesbette naht, Acht haben muß, nicht getroffen und verletzt zu werden?
    Aus diesem Grunde ist die Prairie eine Stätte unausgesetzter Gefahr. Aber diese Gefahr wird erhöht und verdoppelt durch die Ausgestoßenen der weißen Kaste, durch die sittlichen Parias, welche die Wildniß aufsuchen müssen, weil sie mit den Gesetzen gebrochen haben. Diese Menschen sind schlimmer als die Indianer; diese Letzteren gleichen dem Schwindsüchtigen, der sich mit aller Gewalt an das Leben klammert, die Ersteren aber sind ekelhaft und unheilbar aussätzig. Sie stehen außerhalb des Gesetzes; ihre Hand ist gegen Jedermann, und darum ist auch Jedermanns Hand gegen sie; sie schonen, heißt die Ehrlichen verderben. Wer ihre Spur kreuzt, ohne sie zu verfolgen, der muß gewärtig sein, ihnen dann unvorbereitet zu begegnen und in ihre Hände zu fallen. Ein jeder brave und muthige Westmann wird sich keinen Augenblick besinnen, ihrer Fährte zu folgen; dann weiß er sie vor sich und hat von den anderen Seiten Nichts zu befürchten. Und haben sie sich gar mit den Rothhäuten verbunden, von denen sie aber auch nur verachtet werden, so ist es doppelt gerathen, lieber der Angreifer als der Angegriffene zu sein. Ich befand mich in der Nähe der Gegend, welche das Ziel meiner Wanderung war. Wer gab mir Sicherheit, daß ich da nicht irgendwo auf Sioux oder die Railtroublers stieß? Darum war es gerathener, mich vorher über ihre Absichten und den Schauplatz ihrer Thätigkeit zu unterrichten. Und das war der Grund davon, daß ich mich Fred Walker angeschlossen hatte, obgleich ich aufrichtig gestehe, daß die Aussicht auf ein Abenteuer das Ihrige zu meinem Entschlusse beigetragen hatte.
    Als wir am andern Morgen aufgebrochen waren, bewährte sich mein Schwarzschimmel als ein ganz ausgezeichnetes Pferd. Ein Reiter, welcher nichts von indianischer Dressur verstand, wäre keinen Augenblick im Sattel geblieben; wir aber hatten uns gar bald zusammengerichtet. Dadurch schien ich in der Achtung meines dicken Fred sehr gewonnen zu haben. Ueberhaupt bemerkte ich, daß er mich zuweilen mit ganz eigenthümlichen Blicken musterte. Er mochte die Auszeichnung nicht begreifen, mit welcher mich Winnetou behandelte. In seinen Augen mußte die ganz und gar außerordentliche Freundschaft des berühmten Apachen zu einem unbekannten Jäger ein wahres Wunder sein.
    Der alte Victory, hielt sehr gut aus, und so kamen wir recht schnell vorwärts. Bereits am Mittag erreichten wir den letzten Lagerplatz der Railtroublers, waren ihnen also fast um einen halben Tagesritt näher gekommen.
    Die Spur, welcher wir folgten, hatte das Flüßchen verlassen und sich in ein langes Seitenthal gezogen, durch welches sich ein Bach schlängelte.
    Ich bemerkte, daß Winnetou von jetzt ab den Boden weit aufmerksamer betrachtete als bisher; auch suchten seine Augen den Rand des Waldes, welcher von den beiden Seitenhöhen bis auf die Sohle des Thales heruntertrat, zu durchdringen. Endlich hielt er gar an und wandte sich, da

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