Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
beobachtet?«
»Unwahrscheinlich. Es gibt viel protzigere Häuser in Hampstead.«
»Das stimmt. Oh, nun geh schon, fahr zurück zu deiner Kathedrale. Die brauchen dich bestimmt mehr als ich.«
»Im Moment nicht. Außerdem muss ich zur Polizei. Die haben das Haus überprüft, wollen aber noch eine Aussage von mir.«
»Wozu das denn? Du warst ja nicht mal da. Sag ihnen, sie sollen zu mir kommen. Du weißt überhaupt nichts darüber. Ich werde mich morgen früh selbst entlassen und in mein Haus zurückkehren. Und ich will nicht, dass du dann dort bist und mir auf die Nerven gehst.«
Jane stand auf. Humor, hatte sie vor langer Zeit beschlossen, Humor funktioniert. Gelegentlich. Aber ihr fiel nichts auch nur entfernt Humorvolles ein.
Erst bei Einbruch der Dunkelheit verließ sie London. Über den Himmel breiteten sich fedrige Brombeerwolken, während sie nach Westen fuhr. Scott Joplin tönte aus dem CD-Spieler. Jane war bei der Polizei gewesen, hatte so gut wie möglich im Haus aufgeräumt, Lebensmittel und ein paar süß duftende Levkojen gekauft, um in ein Haus, das ihr besudelt vorkam, frisches Leben zu bringen. Sie zwang sich, nicht daran zu denken, wie ihre Mutter wieder allein dort war, in ihrem zum Garten gelegenen Arbeitszimmer, umgeben von ihren Papieren und aufwehender Zigarilloasche. Magda würde es gut gehen. Sie war eine starke Frau. Es war erstaunlich, dass ein Einbrecher sie überwältigt hatte. Ihre Mutter …
Aber ihre Mutter war zum ersten Mal in Janes Leben verletzlich geworden, und diese Vorstellung verwirrte und ängstigte sie, halb war es Furcht, halb Gereiztheit. Wie kann sie es wagen?, dachte sie, bog auf die Mittelspur und beschleunigte. Wie kann sie es wagen, mir das anzutun?
Das Klavier klimperte mit seinem Jazz, fehlerlos, selbstsicher. Die Erinnerung an ihren Vater ließ ihr unerwartet Tränen in die Augen treten.
Zehn
K ann sie mich sehen?«
Die Schwester zögerte.
»Kann sie mich hören?«
»Möglicherweise … Hören ist der … Ja, kann sein.«
»Hören ist der was? Was? «
Bestürzung flackerte über ihr Gesicht.
Max Jameson hatte gebrüllt. Er war wütend. Er hatte die Schwester angefaucht, als sei es ihre Schuld, was nicht der Fall war, aber er konnte sich nicht entschuldigen. »Was? Machen Sie mir bitte nichts vor.«
»Hören ist der letzte der Sinne, den sie verliert, mehr wollte ich nicht sagen. Also könnte sie Sie hören … Davon sollten Sie immer ausgehen. Das ist das Beste.«
Doch als er Lizzie anschaute, die ihn möglicherweise hörte oder auch nicht, fiel ihm nichts zu sagen ein.
Lizzie. Das war bereits nicht mehr Lizzie.
Er sah, dass die Schwester ihn mit solcher Freundlichkeit, solcher Besorgnis ansah, dass er ihr am liebsten den Kopf an die Brust gelegt hätte, um sich trösten zu lassen. Sie wischte Lizzies Stirn mit einem in kühles Wasser getauchten Tuch ab.
»Kann sie das fühlen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich muss nach draußen. Kann ich in den Garten gehen?«
»Natürlich. Es ist sehr schön da draußen. Friedlich.«
»Ich will keinen Frieden.«
Er stand in dem heißen, kleinen Sterbezimmer, versuchte zu sprechen, aber es kam nur Luft heraus. Er stolperte zur Tür.
Drei Tage und drei Nächte dauerte es jetzt schon und war schrecklich anzuschauen, und trotzdem wollte seine Frau immer noch nicht sterben. Lizzie.
Er setzte sich auf eine Bank. Wenn er doch nur rauchen würde. Das wäre eine gute Ausrede: »Ich muss eine Zigarette rauchen gehen«, statt: »Ich kann ihr beim Sterben nicht zuschauen.«
Außer ihm war niemand draußen. Rechts näherte sich der neue Anbau der Vollendung, die Fenster noch ohne Scheiben, wie leere Augenhöhlen.
»Kann sie sehen?«
Max ging durch den Kopf, dass er, hätte er am Anfang ihrer Krankheit über die Zukunft Bescheid gewusst, sie damals getötet hätte, es wäre mitfühlender gewesen, sie zu töten. Seine Liebe zu ihr war so tief, dass er es hätte tun können.
Die Luft roch süß, nach Erde und auskühlendem Gras, aber im nächsten Augenblick nach Zigarettenrauch. Ein Mann hatte sich neben ihn auf die Bank gesetzt. Er bot ihm das Päckchen an.
»Nein danke«, sagte Max.
»Nein. Tja, ich auch nicht. Hab es vor Jahren aufgegeben. Nur greift man dann danach, wissen Sie, als Allererstes.«
Sprich nicht mit mir, dachte Max, stell keine Fragen und erzähl nichts.
»Das ist das Schwerste, nicht wahr? Das Warten. Man fühlt sich schuldig … Wünschte, es wäre vorbei, fürchtet sich
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