Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Radionachrichten. Sie hatte sich in allen Fällen als nicht schuldig bekannt, und es war kein Antrag auf Kaution gestellt worden. Simon überlegte, wie sie wohl auf der Anklagebank gewirkt haben mochte, stellte sie sich vor, klein, schlank, dunkelhaarig, unbewegt. Sie hatte weder ihm noch anderen Beamten gegenüber etwas preisgegeben, und er schätzte, dass auch niemand anderes, nicht einmal die Psychologin, etwas aus ihr herausbekommen würde. Er hatte andere Mörder gekannt. Abgesehen von denen, die in einem blinden Augenblick der Verzweiflung gemordet hatten, oder in von Alkohol und Drogen aufgeputschter Wut, hatten sie dieselbe Undurchsichtigkeit wie Sleightholme gezeigt, die erbitternde, fast arrogante Weigerung, an einem normalen Austausch zwischen menschlichen Wesen teilzunehmen. Er dachte daran, wie sie neben ihm auf dem Felsvorsprung gekauert hatte, verängstigt und aus diesem Grund wütend auf sich. Trotzig. Verschlossen. Würde man je dahinterkommen, warum sie Gott weiß wie vielen Kindern diese unaussprechlichen Dinge angetan hatte? Konnte es überhaupt so etwas wie einen Grund dafür geben? Ihr Gesicht ging ihm nicht aus dem Kopf, bis ihm klar wurde, dass er sie zeichnen, diesen Ausdruck einfangen, die ordentliche Kappe dunklen Haars und die undurchdringlichen Augen für immer auf Papier bannen wollte. Er arbeitete nicht oft nach dem Gedächtnis, fragte sich aber, ob er es diesmal versuchen sollte. Wenn er ihr Gesicht analysierte, Zug um Zug, ihr in die Augen schaute, wie er sie in Erinnerung hatte, die Form ihres Mundes und ihres Kopfes studierte, den gesamten Ausdruck einfing, könnte er vielleicht einen Weg in ihren Kopf und zu ihrem Motiv finden. Vielleicht.
»Eine achtunddreißigjährige Frau namens Edwina Sleightholme wurde heute dem Gericht in …«
Er schaltete das Radio aus und beschleunigte, wollte so schnell wie möglich Abstand von London gewinnen. Er hatte sich den ganzen Abend von Diana ferngehalten, bis auf eine rasche Begrüßung. Das war ihm leichtgefallen, der Raum war voll, Besucher hatten mit ihm sprechen wollen. Ein- oder zweimal hatte er gemerkt, dass sie Blickkontakt mit ihm suchte, einmal war er ausgewichen, als sie sich durch die Menge drängte, um ihn zu erreichen.
Ein Auto bog plötzlich vor ihm auf die Überholspur, ließ ihm nur einen Sekundenbruchteil Zeit, auf die Bremse zu treten und die Kollision um Zentimeter zu vermeiden. Simon drückte auf die Lichthupe, wütend auf sich, schaltete dann die Freisprechanlage ein und drückte auf einen Knopf.
»Polizei Lafferton.«
Simon las das Kennzeichen von dem Auto vor ihm ab. »Würden Sie bitte die Autobahnpolizei benachrichtigen? Wir nähern uns Ausfahrt 7, und ich will, dass er angehalten wird.«
Er ließ sich etwas zurückfallen. Sollte der Blödmann doch auf hundertfünfzig oder hundertsechzig beschleunigen, bevor sie ihn abfingen.
Vierunddreißig
D ad?«
»Hallo?«
»Bist du das?«
»Ich versuche, leise zu sprechen, Junge, Eileen ist gerade eingeschlafen.«
»Großer Gott, Dad, stimmt das oder was?«
»Es stimmt.«
»Leah hat es in den Nachrichten gesehen und gesagt, da wäre ein Name gewesen, den sie zu kennen glaubt, und als ich dann dazukam … Gott im Himmel. Worum geht’s da?«
»Ich weiß es nicht, Keith, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, wie es hier war. Sie hat es auch im Fernsehen gesehen, verstehst du, und sie sagte, wär das nicht komisch, jemand mit demselben Namen, im selben Alter …«
»Aber es ist dieselbe verdammte Stadt. Sie muss es sein.«
»Ja, muss sie wohl. Muss sie einfach. Natürlich. Das war nur der Schock.«
»Eileen hat also nichts gewusst?«
»Natürlich nicht, woher hätte sie das wissen sollen, was glaubst du denn?«
»Entschuldige, Dad, ich meinte, hatte sie denn nichts von Edwina gehört oder … na ja, ich weiß nicht, von der Polizei oder so?«
»Edwina … Weeny … sie hat nichts mit uns zu tun, das weißt du doch. Nicht seit wir geheiratet haben. Weder sie noch Janet, obwohl Weeny Weihnachtskarten schickt. Ich hab mir immer gedacht, dass ich etwas tun sollte, weißt du, sie besuchen sollte, beide, um alles in Ordnung zu bringen. Ich will nicht, dass Eileen wegen mir leidet, wegen mir ihre Familie verliert, bloß jetzt …«
»Bloß jetzt, damit hast du verdammt recht. Hör zu, ich komme morgen und hole euch ab. Ihr wollt da bestimmt nicht länger rumwarten, und ihr wollt ganz sicher nicht mit dem Zug zurückfahren. Ich werde gegen Abend dort
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