Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Seite, der Teil von ihm, der jeden abwies. Der Simon, der arrogant war. Sie erinnerte sich, wie sie ihm eine Flasche Kölnischwasser über den Kopf gekippt hatte, als sie sechzehn waren und er sie wütend gemacht hatte. Er hatte tagelang nach dem billigen Zeug gestunken.
Sie lächelte vor sich hin. Vielleicht sollte Diana Mason etwas Ähnliches machen.
Einundvierzig
E ileen Meelup hatte in Erinnerung, dass in der Abteilung für Nachschlagewerke der Stadtbücherei Zeitungen an Stäben befestigt an der Wand gehangen hatten, Zeitschriften auf einem Ständer lagen und Lexika und Enzyklopädien in Regalen standen. Es hatte schwere Holztische und Stühle gegeben, und die Schuhe hatten auf dem gebohnerten Boden gequietscht, worauf alle aufschauten. Eine besondere Stille hatte geherrscht, und die Luft war von einem leichten Schimmelgeruch erfüllt gewesen. Wie in einer Kirche.
Sie trat ein und blieb verblüfft stehen. Alles war anders. Der Raum war weiß gestrichen worden. Die großen Bücher, die Zeitungen und Zeitschriften, die Holztische und Stühle waren durch eine Reihe kleiner Tische ersetzt worden, auf denen Computer standen, mit drehbaren Bürostühlen davor. Die Bildschirme leuchteten, und das leise Klicken von Tastaturen war zu hören.
Sie drehte sich um und ging zur Ausleihe zurück. Zeitungen? Das Mädchen murmelte etwas davon, dass es um die Ecke einen Zeitungskiosk gebe.
Eileen ging. Neben dem Zeitungskiosk gab es noch eine Sandwichbar mit ein paar hohen Hockern an einem Fenstertresen. Eileen bestellte sich einen Milchkaffee und schwang sich auf einen Hocker.
Nachdem es keine Zeitungen mehr gab, musste sie neu überlegen. Früher waren Ausgaben des gesamten vergangenen Jahres aufgehoben worden, in einem getrennten Archiv. Man hatte angeben können, welche man haben wollte, und hatte sie entweder sofort bekommen oder später abholen können. Sie hatte sich darauf verlassen, hatte sich ausgemalt, wie sie die Zeitungen nach Datum sortiert durchsehen würde, von hinten nach vorne. Darüber hatte sie die ganze Woche nachgedacht und sich daran festgehalten. In den Zeitungen würde alles stehen, was sie brauchte, alle Berichte, die Aufrufe der Polizei, die Fotos, alles. Jeder Fall wäre da zu finden gewesen. Sie hätte sie langsam durchgehen können, um sicher zu sein, dass sie alles erfuhr. Und in einer davon, irgendwo, hätte sie das gefunden, wonach sie suchte, welches verborgene, winzige Detail auch immer, der Beweis, dass Weeny nichts mit all dem zu tun hatte, dass es ein grober Fehler gewesen war, ein ganzer Katalog von Fehlern. »Ein Justizirrtum.« Dazu hätte es nur Zeit gebraucht, und die hatte sie jetzt genügend. Sie hatte ihre Stelle gekündigt, um den ganzen Tag und jeden Tag dafür zur Verfügung zu haben. Nun fühlte sie sich, als wäre sie an einem Ort ausgesetzt worden, den sie zu kennen meinte, der sich aber als ihr vollkommen fremd erwies. Sie kannte sich nicht aus, wusste nicht, welchen Weg sie einschlagen sollte.
Von Weeny hatte sie nichts gehört. Dougie hatte fast eine ganze Stunde am Telefon verbracht, um zu erfahren, ob es möglich war, dass ihre Mutter sie im Gefängnis besuchte. Aber es war kein Termin festgelegt worden.
Weeny war immer auf eine seltsame Art bestrebt gewesen, alles allein machen zu wollen. Das hatte Cliff ihr beigebracht. Für sich selbst einzutreten, niemanden zu brauchen. Doch jetzt, angesichts all dessen, würde sie doch bestimmt schreiben, bestimmt. Eileen kratzte den Kaffeeschaum mit dem Löffel aus der leeren Tasse. Wie konnte man in einen solchen Schlamassel geraten, wie konnte man mit all dem, was da schieflief, fertig werden, ohne seine Familie um sich zu haben? Das konnte selbst Weeny nicht.
Als sie klein waren, hatte Janet ständig geweint, wegen allem und jedem. Weeny nie. Sie war immer gefasst gewesen, immer dieselbe, hatte wenig gelacht, nicht geweint, nicht herumgeplappert wie Jan. Eileen hatte sie dafür geliebt, ihre ruhige Selbstbeherrschung geliebt, sie gerne bei sich gehabt, während Weeny las oder sich mit ihren Alben beschäftigte. Weeny hatte nicht das Theater und die Aufmerksamkeit verlangt wie Jan. Jan war Dads kleines Mädchen gewesen, Weeny ihres.
Und doch war sie gegangen. War volljährig geworden, hatte das Haus verlassen und sich danach kaum mehr gemeldet, brauchte immer noch niemanden, war immer noch vollkommen eigenständig.
Abgesehen von einer schrecklichen, tödlichen Krankheit konnte es nichts Schlimmeres geben als das, was
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