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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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Ihr ungebetener Gast hatte überhaupt nichts mitgenommen.
    Verflucht, er hatte keine Wertsachen gesucht, sondern Informationen! Er hatte ihr hinterhergeschnüffelt, in ihrer Wäsche gewühlt. Und er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Spuren zu verwischen. Der rätselhafte Zettel hatte so im Flur gelegen, dass sie ihn finden musste. Was also wollte der Kerl von ihr?
    Sie sprang auf und lief ins Wohnzimmer. Während der Computer hochfuhr, kaute sie nervös auf ihrer Unterlippe. Sie klickte auf zuletzt benutzte Dateien und erstarrte. »Du mieses Stück Scheiße«, stieß sie hervor. »Ich kriege dich, und dann mache ich dich fertig.«
    Sie schaltete den Rechner ab und zog sich aus. Sie wollte duschen, sich den Schmutz des Tages abwaschen und danach ins Bett, auch wenn vermutlich an Schlaf nicht zu denken war. Nach Musik war ihr heute Abend nicht zumute. Ihr Zuhause war nicht mehr ihre sichere Zuflucht. Jemand hatte es besudelt und in ihrem Leben herumgestochert. Irgendein Fremder war in ihrer Wohnung gewesen und hatte zielsicher auf ihrem Computer ihre intimsten Geheimnisse geortet. Was hatte er vor? Wollte er ihr Angst einjagen? Sie erpressen? Nackt ging sie ins Bad und stieg in die Dusche. Erst als sie das Wasser aufdrehte, fiel ihr Blick auf die Wand. Ihr ungebetener Gast hatte ihr eine Botschaft hinterlassen. Mit knallroter Farbe hatte er ein fast kindlich anmutendes Bild an die Kacheln geschmiert, das jetzt vom heißen Wasser weggewaschen wurde: einen Fisch.

18

    Samstag, 12. September
    Kriminalhauptkommissar Klaus Halverstett drückte auf den Klingelknopf. Danach geschah lange nichts. Er wechselte einen Blick mit seiner Kollegin Rita Schmitt, die ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trippelte.
    »Scheint niemand da zu sein.« Rita zuckte mit den Schultern. »Sollen wir zur nächsten Adresse fahren?«
    »Einen Moment noch.« Er drückte erneut. Elfriede Kästner war eine alte Frau, vermutlich brauchte sie einfach ein bisschen länger, um an die Tür zu kommen.
    Sie klapperten die Adressen der Angehörigen von Vermissten ab, die zwischen 1975 und 1995 verschwunden waren und auf die die Merkmale der Gebeine aus dem Aaper Wald zutrafen. Auf diesen Zeitraum hatte sich Maren Lahnstein zögernd festgelegt. Außerdem war sie jetzt sicher, dass es sich bei den Knochen um die sterblichen Überreste eines Mannes handelte. Fünfzig Meter unterhalb der Fundstelle der übrigen Knochen hatten sie Teile des Schädels entdeckt. Maren hatte Halverstett die Verletzung am Scheitelbein gezeigt. Stumpfe Gewalteinwirkung am Os parietale, hatte sie erklärt, die vermutlich ein Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst habe. Im Klartext: Jemand hatte dem unbekannten Toten den Schädel eingeschlagen und danach die Leiche im Wald vergraben. Halverstett musste Lydia Louis noch Bescheid sagen. So wie es aussah, gehörten ihre beiden Fälle doch nicht zusammen.
    Der Staatsanwalt hatte angeordnet, die Gebeine mit Hilfe der DNA-Profilanalyse zu identifizieren, was bedeutete, dass sie von jedem Vermissten einen Verwandten aufsuchen mussten, der eine Speichelprobe zum Vergleich zur Verfügung stellte. Und danach durften sie vermutlich wochenlang auf die Ergebnisse warten. Da es kein aktueller Mordfall war, würde das LKA sich mit Sicherheit kein Bein ausreißen. Die hatten ohnehin viel zu viel zu tun, da inzwischen bei jedem Fall, bei dem auch nur die geringste Aussicht bestand, mit einem DNA-Abgleich Licht ins Dunkel zu bringen, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Solange die Ergebnisse nicht vorlagen, konnten sie an dem Fall praktisch nicht weiterarbeiten. Ohne die Identität des Opfers war es nahezu unmöglich, den Tathergang zu rekonstruieren. Sie brauchten zumindest den ungefähren Zeitpunkt des Verschwindens, um irgendwo ansetzen zu können. Zwischen 1975 und 1995 reichte als Zeitangabe definitiv nicht aus.
    Ein schwaches Brummen ertönte, flugs lehnte Halverstett sich gegen die Tür aus dunklem Holz und drückte sie auf. Das Treppenhaus war dämmrig und roch nach Bohnerwachs. Der Geruch erinnerte ihn an seine Kindheit. Er fragte sich, wer heutzutage noch Bohnerwachs benutzte. Frau Kästner wohnte im zweiten Stock, die Holzstiegen ächzten vernehmbar, fast ebenso wie Rita, die lautstark über alte Häuser ohne Fahrstuhl und schlecht bezahlte Polizeiarbeit stöhnte. Dabei war sie kaum mehr als halb so alt wie er. Eigentlich hätte sie wie ein junges Reh die Stufen hinaufhüpfen müssen. Die Vorstellung amüsierte ihn.

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