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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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entscheidenden Augenblick nicht auf sie aufgepasst. Das Schlimme war, dass ich ihr Recht gab. Und dann teilte sie mir eines Tages mit, dass sie ausziehen würde und sich scheiden lassen wollte. Am Tag der Scheidung stellte sie mir ihren neuen Freund vor. Einen Versicherungsmakler. Ein windiger Typ, der mir auf Anhieb unsympathisch war. Die beiden sind inzwischen verheiratet und haben einen kleinen Sohn.« Er stellte die Bierflasche abrupt auf dem Couchtisch ab. »Ich kann das nicht, verstehst du? Ich kann Anna nicht einfach abschreiben. So als hätte sie nie existiert. Hier wegziehen, alles hinter mir lassen und eine neue Familie gründen. Was, wenn Anna doch noch lebt, wenn sie eines Tages wiederkommt? Wo soll sie denn hin, wenn ich auch noch fortgehe? Das ist doch ihr Zuhause. Ein anderes kennt sie nicht. Ich weiß, es ist albern, aber ich habe das Gefühl, dass ich genau hier auf sie warten muss.«
    Er verstummte. Lydia starrte auf den Boden. Sie fühlte sich immer noch in der Falle. Ausgetrickst. Er hatte ihr sein Herz ausgeschüttet und es ihr so unmöglich gemacht, ihn weiterhin zu verabscheuen. Er hatte sie hereingelegt.
    Chris räusperte sich. »Eigentlich wollte ich dir ja etwas zeigen.« Er stand auf und verließ das Wohnzimmer. Lydia hörte ihn auf der Treppe, dann war er zurück, eine schmale Akte in der Hand.
    »Was ist das?«
    »Ein Fall, den Kollegen von der Kripo Köln vor etwa zwei Jahren bearbeitet haben. Das war kurz vor meinem totalen Absturz, ich war eigentlich nur noch mit Anna beschäftigt, habe kaum etwas mitgekriegt. Aber diese Sache fand ich schon damals merkwürdig, deshalb ist sie mir in Erinnerung geblieben. Mir fiel die Geschichte gleich am Dienstag ein, beim Anblick des Tatorts im Wald. Aber zu dem Zeitpunkt sah ja alles noch nach einem Verbrechen mit muslimischem Hintergrund aus. Deshalb habe ich nichts erwähnt.« Er reichte Lydia die Akte.
    Sie schlug sie auf und blätterte darin herum. »Nenn mir die wichtigsten Eckpunkte. Ich habe keine Lust, das alles zu lesen.«
    »Die Geschichte war ziemlich skurril: Eine junge Frau wurde von einem Unbekannten im Wald angegriffen und mit Steinen beworfen. Sie konnte entkommen. Ich glaube, ein Spaziergänger kam ihr zu Hilfe. Sie war nur leicht verletzt, ihr Angreifer wurde nie gefasst.«
    »Gab es danach ähnliche Fälle?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Und du glaubst, das hat etwas mit unserer Mordserie zu tun?«
    »Sieht vielleicht auf den ersten Blick nicht so aus. Doch es gibt eine interessante Parallele: In der Nähe der Stelle, wo die Frau angegriffen wurde, ist ein kleiner Parkplatz für Wanderer. Dort fanden die Kollegen ein paar mit Kreide gemalte Schriftzeichen auf dem Asphalt. Das Interessante war, dass sie ziemlich genau zum Zeitpunkt der Tat niedergeschrieben worden sein mussten, denn bis etwa zehn Minuten vorher hatte es heftig geregnet.«
    Lydia sah ihn perplex an. »Und was stand da?«
    »Weiß ich nicht auswendig. Guck mal in die Akte, steht auf Seite sieben, wenn ich mich richtig erinnere.«
    Lydia blätterte und fand bald die richtige Stelle. »SIR2614«, las sie laut. »Ich fasse es nicht. Haben deine Kollegen damals etwas darüber in Erfahrung gebracht?«
    »Nein. Sie haben nicht geglaubt, dass das etwas mit dem Überfall auf die Frau zu tun hatte. Sie dachten, das sei eine Kurzschlusshandlung gewesen. In Anbetracht unserer beiden Morde stellt sich das allerdings ein wenig anders dar, meinst du nicht?«
    Lydia nickte nachdenklich. »Warum wolltest du mir das nicht im Präsidium zeigen?«
    Chris sah sie schweigend an. Schließlich sagte er: »Ich möchte, dass diese Sache vorerst unter uns bleibt.«
    »Das geht nicht, Salomon. Wir müssen die übrigen Mitglieder der Mordkommission informieren.«
    Chris senkte den Kopf. »Ich weiß. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du diese Information noch zurückhalten würdest. Nur für ein paar Tage.«
    »Warum?«, fragte Lydia scharf.
    »Darüber möchte ich nicht reden.«
    »Du bringst mich da in eine echt beschissene Lage, Salomon! Weißt du, was du da von mir verlangst?« Lydia knallte die Akte auf den Tisch und sprang auf. Was dachte dieser Mistkerl sich eigentlich? Erst brachte er sie mit seiner traurigen Lebensgeschichte in Verlegenheit, und jetzt nutzte er die Stimmung aus, um sie zu einem Dienstvergehen zu überreden. Zurückhalten von Beweismaterial. Das war kein Spaß. Das konnte richtig Ärger geben. Und als Moko-Leiterin würde sie den Kopf hinhalten müssen, wenn das

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