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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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wollen, sie mit seiner Neugier dazu gebracht, sich Fragen zu stellen, die sie normalerweise verdrängte. Es war eine beängstigende, doch letztendlich befreiende Erfahrung gewesen.
    Erst hatte sie versucht, ihn davon zu überzeugen, dass es ein Tierknochen gewesen sei, den er im Wald ausgegraben hatte, und es war ihr auch gelungen. Doch dann war die Polizei gekommen, zwei Männer, ein älterer Beamter und ein junger Kerl. Der ältere Mann, ein Kommissar Halverstett, hatte Jakob Fragen gestellt, während der junge schweigend neben ihm gestanden und Jakob aufmerksam angesehen hatte. Sie waren nicht lange geblieben, ein paar Minuten vielleicht. Doch danach hatte Jakob ihr keine Ruhe mehr gelassen. Sie hatte ihm reinen Wein einschenken und ihm erzählen müssen, dass es sich bei seinem Fund im Wald um die Überreste eines vor langer Zeit verstorbenen Menschen handelte. Was mit ihm passiert sei, hatte er wissen wollen. Und warum er nicht auf einem Friedhof begraben worden sei. Sie hatte herumgedruckst, hatte ihn nicht belügen wollen, aber auch nicht mit einer Wahrheit belasten, für die er noch zu jung war.
    Auch sie hatte sich seither verändert, war auf ihre Art ebenfalls nachdenklicher geworden. Und sie war dankbar dafür, dass ihr Kind an einem Ort aufwachsen durfte, an dem es immer noch etwas Ungewöhnliches und Schreckliches war, menschliche Gebeine außerhalb eines Friedhofs zu finden. Etwas, das man erst einmal begreifen musste. Für viele Kinder in anderen Teilen der Welt war solch ein Anblick so alltäglich, dass sie ihn nicht einmal mehr wahrnahmen. Dass ihr Sohn nicht zu ihnen zählte, erfüllte sie mit einer Mischung aus Freude, Demut und schlechtem Gewissen.
    Behutsam stieß Sandra Jakobs Zimmertür auf. Der Junge saß auf dem Boden vor dem Bett und studierte etwas, das er in den Händen hielt. Ein kleines blaues Auto. Sie lächelte erleichtert. Vermutlich stellte er sich gerade vor, wie er mit heulendem Motor ein Rennen durch die Wüste fuhr, während eine Sandfontäne hinter ihm aufspritzte. Sie drehte sich um, ohne ihn zu stören, und ging zurück ins Schlafzimmer. Erst als sie nach dem Bügeleisen griff und es langsam über den weißen Stoff eines Bettbezugs gleiten ließ, fiel ihr ein, dass sie dieses kleine Auto noch nie bei Jakob gesehen hatte. Woher er es wohl haben mochte?
    Philipp Dankert sah noch zerknitterter aus als am Vortag. Sein Gesicht war grau, die Bartstoppeln ließen es schmutzig und alt wirken. Alle Arroganz war aus seinen Zügen gewichen. Auch die Küche war nicht mehr so proper wie bei ihrem letzten Besuch. Auf dem Glastisch hafteten hässliche Ränder, vermutlich von Kaffeetassen, in der Spüle standen Gläser, Teller und ein leerer Saftkarton, Krümel lagen verstreut auf der marmornen Arbeitsplatte.
    »Ich begreife nicht, was los ist. Es muss etwas passiert sein.« Dankert sah Lydia an, sein linkes Auge zuckte, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er weitersprach. »Was ist mit der Toten, die Sie im Park gefunden haben? Ist es – ist es Ellen?«
    Entweder wusste er wirklich nichts, oder er war ein grandioser Schauspieler.
    »Wir haben die Frau noch nicht identifiziert.« Lydia warf Chris einen kurzen Blick zu.
    Er nickte kaum merklich. »Das Ergebnis des DNA-Tests ist nicht vor Montag da«, ergänzte er.
    »Montag!« Dankerts Gesichtausdruck wechselte von einer Sekunde auf die andere von Trauer zu Empörung. Wütend starrte er Lydia an. »Weil Wochenende ist, ja? Meine Frau ist verschwunden, ihr Leben ist womöglich in Gefahr, vielleicht ist sie längst tot, aber ihr Scheißbeamten lasst euch davon nicht das Wochenende versauen. Warum überrascht mich das nicht?« Er knallte die Faust auf die Spüle, sodass das Geschirr klirrte.
    Lydia wollte auf Dankert zugehen. Was bildete dieser überhebliche Mistkerl sich ein?
    Chris packte sie am Arm und hielt sie fest. »Niemand macht sich hier ein schönes Wochenende, Herr Dankert«, sagte er kühl. »Wir haben zwei Morde aufzuklären, wir kommen seit fünf Tagen kaum zum Schlafen, von Freizeit ganz zu schweigen. Also verkneifen Sie sich bitte Ihre Beleidigungen, und helfen Sie uns.«
    Dankert setzte sich auf einen der Lederstühle. Die Wut schien so schnell verraucht, wie sie gekommen war. »Tut mir leid. Ich bin mit den Nerven am Ende. Wenn Ellen etwas passiert ist, dann weiß ich nicht, was ich tun soll.« Er blickte auf. »Was soll ich denn ohne sie anfangen?« Seine rot geränderten Augen schimmerten feucht.
    Lydia musterte

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