Der Seele weißes Blut
ihn verächtlich. Sie dachte an die Knochenbrüche und blauen Flecken an der Leiche und hätte den Mann am liebsten gepackt und geschüttelt. So ein Heuchler! Salomons Hand, die immer noch auf ihrem Arm lag, hielt sie davon ab.
Sie machte sich los und setzte sich Dankert gegenüber. »Wo waren Sie eigentlich vergangenen Montag, oder besser gesagt, am Dienstagmorgen, so zwischen vier und fünf Uhr?«
Er glotzte sie einen Moment lang verständnislos an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen. »Ach, einen Mord wollen Sie mir also auch anhängen? Ich war im Bett, wo sonst? Leider ist die einzige Person, die das bestätigen kann, spurlos verschwunden.«
»Und in der Nacht, als ihre Frau verschwand, lagen Sie da ebenfalls im Bett?«
»Hab ich Ihnen doch schon gesagt.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Lydia nahm sich vor, sich nicht noch einmal aus der Fassung bringen zu lassen. Jedenfalls nicht von diesem Arschloch. »Hat Ihre Frau sich kürzlich den Finger gebrochen?«
»Was?«
»Hat Ihre Frau sich kürzlich den Finger gebrochen?«
»Ich – was soll das? Ich verstehe nicht.« Dankert schaute sie an, die Augen beunruhigt zusammengekniffen.
»Beantworten Sie einfach die Frage meiner Kollegin«, sagte Chris ruhig. Er hatte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke gesteckt, schien völlig gleichmütig zu sein. Seine Lässigkeit irritierte Lydia fast genauso wie Dankerts erbärmliches Theaterspiel.
»Sie ist gefallen. Mit den vollen Einkaufstaschen in der Hand. Deshalb konnte sie den Sturz nicht richtig abfangen. Ich glaube, es war beim Aussteigen aus dem Auto. Sie ist ein bisschen ungeschickt, manchmal.« Seine Lippen zuckten, vermutlich versuchte er sich an einem Lächeln, doch dazu reichte es nicht.
»Sie sind wohl beide ein bisschen ungeschickt.« Lydia fixierte das Pflaster auf seiner Stirn.
Dankert tippte mit dem Finger daran. Er wirkte mit einem Mal zerstreut. »Ja, kann sein.«
»Oder haben Sie ihr den Finger gebrochen?« Lydia fischte den Notizblock aus der Tasche ihres Parkas. »So wie Sie ihr vorher schon öfter etwas gebrochen haben.« Sie las vor, was sie aus dem Sektionsprotokoll abgeschrieben hatte. »Den rechten Unterarm, den linken Daumen, eine Rippe, nein, zwei Rippen, mehrere Handknochen. Soll ich fortfahren?«
»Was soll der Scheiß?«, brüllte Dankert und sprang auf. »Was wollen Sie damit andeuten?«
Lydia erhob sich ebenfalls und stellte sich dicht vor ihn. »Sie haben Ihre Frau verprügelt. Immer wieder. Sie haben ihr sämtliche Knochen gebrochen. Was war diesmal anders? Hat sie sich gewehrt? Ihnen etwas über den Schädel gezogen? Da?« Sie deutete auf das Pflaster. »Das konnten Sie sich natürlich nicht bieten lassen. Sie mussten ihr klarmachen, wer der Herr im Haus ist. Also haben Sie es ihr so richtig besorgt. Leider sind Sie dabei zu weit gegangen. Plötzlich war die arme Ellen tot, und Sie hatten ein echtes Problem. Und dann ist Ihnen eine tolle Idee gekommen, wie Sie die Leiche loswerden können.«
»Sie verfluchtes Stück Dreck!« Dankert packte Lydia an der Jacke und zog sie zu sich heran. Mit einer raschen Bewegung machte sie sich los und drehte ihm den Arm auf den Rücken, so, dass es wehtat.
»Legen Sie sich nicht mit der Falschen an, Dankert«, sagte sie leise. »Ich bin nicht wie Ellen. Und ich bin gut ausgebildet.« Sie ließ ihn los. »Am Montag haben wir das Ergebnis des Tests. Dann kommen wir wieder.«
Sie marschierte aus der Küche. Draußen schlug ihr kühle Luft entgegen. Ein leichter Wind war aufgekommen und trieb altes Laub vor sich her über die Straße. Es roch nach Herbst. Sie wartete am Auto, bis sie Salomons Schritte hinter sich hörte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das der beste Weg war«, sagte er.
Sie drehte sich nicht um. »Wieso nicht?«, blaffte sie. »Wir wissen jetzt, dass Ellen einen gebrochenen Finger hatte. Zusammen mit dem Haargummi und allen anderen Umständen können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es sich bei der Toten um sie handelt. Und wir haben den Scheißkerl aus der Reserve gelockt. Er hat uns demonstriert, dass er aufbrausend und gewalttätig ist.«
»Und er hat zwei Tage Zeit, Spuren zu verwischen und sich eine gute Geschichte zurechtzulegen.«
Lydia drehte sich zu ihm um. »Er ist ein Arschloch. Wir kriegen ihn.«
»Er ist ein Arschloch, keine Frage. Und ich bin mir genauso sicher wie du, dass er seine Frau verprügelt hat. Aber das heißt nicht, dass er ihr
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