Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
sich auf die Zehenspitzen.
Das seitliche Milchglasfenster des Kastenwagens war zersplittert, und wenn er sich nicht völlig täuschte, hatte er gerade eine blutige Hand gesehen, die hilflos nach draußen winkte.
Raßfeld wich erschrocken einen Schritt zurück. »Bringen Sie die beiden rauf«, befahl er in das Funkgerät.
»Tja, ich weiß nicht. Sollten wir nicht besser …?« »Was?«, herrschte er Sophia an. »Einen Hubschrauber holen? Die Feuerwehr rufen? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass der Wagen die Telefonanlage zerstört hat.«
Und auf dem Klinikgelände funktionieren keine Handys . Caspars Mund wurde trocken, und er musste plötzlich husten, als hätte er sich an dem Gedanken verschluckt. Die Gegend hier war einer der letzten weißen Flecke auf den Karten der Mobilfunknetzbetreiber. Ein Standortvorteil in Raßfelds Augen, bestand ein wichtiger Teil der psychologischen Behandlung doch darin, die Patienten von negativen äußeren Einflüssen abzuschirmen.
Das Funkgerät begann wieder zu blinken.
»Dirk hat die Türen aufgestemmt, und ich bin jetzt bei dem Patienten, und ich, o nein … großer Gott.« »Was? Was ist denn?« Raßfeld starrte auf den Monitor und versuchte, etwas zu erkennen.
»Entschuldigen Sie, dem Patienten steckt ein Messer im Hals.«
»Ist er tot?«
»Nein, die Luftröhre wurde perforiert, doch er ist bei Bewusstsein und atmet gleichmäßig, aber …«
»Aber was?«, fragte Raßfeld vollends entnervt und gab Caspar ein unwirsches Handzeichen, endlich zu verschwinden.
»Sie werden nicht glauben, um wen es sich hier handelt.«
     

18.56 Uhr
    Yasmin war zurückgekommen und hatte ihn nach einer barschen Anweisung Raßfelds wieder auf sein Zimmer begleitet, wo auf dem Schreibtisch bereits ein Tablett mit dem Abendessen auf ihn wartete. Wie immer hatte sich die Köchin, Sybille Patzwalk, mit der Dekoration fast mehr Mühe als mit den Speisen selbst gegeben. Eine kunstvoll zu einem Schwan gefaltete Leinenserviette umschmeichelte das schwere Silberbesteck, der Suppenteller war mit Petersilie verziert, und neben dem Wasserglas lag eine weiße Orchidee. Caspar nahm das Tuch von dem Brotkorb, und der Hunger in ihm schlug an wie ein Wachhund, der Witterung aufgenommen hat. Seit Stunden hatte er nichts mehr zu sich genommen.
Kaum führte er den ersten Bissen zum Mund, wurde draußen vor dem Fenster ein rasenmäherartiges Brummen lauter, das Caspars knurrenden Magen übertönte. Er legte das Baguette zurück und trat zum Kippfenster in der Dachschräge. Der Schneeregen war in dichte Flocken übergegangen und staute sich bereits an der unteren Kante. Bald würde er nicht mehr durch die Scheibe sehen können. Schon jetzt konnte er kaum das Schneemobil ausmachen, mit dem Sophia und Bachmann die Unfallopfer in die Klinik brachten.
Caspar öffnete das Fenster einen kleinen Spalt. Die Kälte, die ihm entgegenschlug, war so intensiv, dass er glaubte, die Tränenflüssigkeit auf seinen Augen würde gefrieren. Was mache ich hier nur?, fragte er sich. Sein Atem, der wie Tabakqualm aus seinem Mund dampfte, erinnerte ihn an den Rauch, den er zu riechen geglaubt hatte, als er in Gretas Zimmer plötzlich an das kranke Mädchen hatte denken müssen.
Du kommst doch bald wieder, oder?
Er zog das Fenster zu, ging in die Mitte des Zimmers, drehte sich einmal um die eigene Achse und spürte, wie die innere Unruhe in ihm eine kritische Marke überschritt. Und damit fand er etwas über sich heraus, das fast noch wichtiger war als eine klare Erinnerung: Es entsprach nicht seinem Wesen, untätig abzuwarten. Diese Erkenntnis war bedeutender als die vielen kleinen Eigenheiten, die er in den letzten Tagen an sich entdeckt hatte, wie zum Beispiel, dass er seine Uhr am rechten Handgelenk trug, dass er Essen grundsätzlich salzte, bevor er einen ersten Bissen nahm, oder dass er Schwierigkeiten hatte, seine eigene Handschrift zu lesen.
Die Tatsache, dass alles in ihm danach schrie, sofort diese Klinik zu verlassen, bedeutete auch, dass er sich leicht etwas vormachen konnte. Er hatte es vorgezogen, auf ein Behandlungswunder zu warten, anstatt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. In Wirklichkeit aber hatte er sich versteckt, und zwar nicht hier in der Klinik, sondern an einem Ort, an dem ihn niemand finden konnte: in sich selbst.
Caspar öffnete seinen Schrank. Von den acht Kleiderbügeln waren nur vier belegt. Und das auch nur, weil er Jackett und Anzughose getrennt aufgehängt hatte. Viel Gepäck würde er also nicht bei

Weitere Kostenlose Bücher