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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Kälte, von der ihn die siedend heiße Adrenalinflut in seiner Blutbahn bislang abgelenkt hatte.
Natürlich. Man geht von unten hinein, und mit Kopf und Armen kommt man aus drei Löchern wieder heraus.
    »Was habt ihr denn?«, fragte er, als es um ihn herum plötzlich leise wurde und er besonders von Tom misstrauisch fixiert wurde.
Caspar ließ seinen Blick wandern, sah die anderen an, betrachtete ihre Oberkörper – Gretas und Yasmins Blusen, Schadecks Rollkragenpulli, Bachmanns Overall –, und dann wurde ihm unangenehm bewusst, dass er der Einzige war, der ein T-Shirt trug.
     

02.26 Uhr
    »Ausziehen.«
»Du spinnst doch.«
»Ich meine es ernst, zieh das verdammte T-Shirt aus. Sofort.«
»Sind Sie jetzt völlig verrückt geworden?«, kam ihm Bachmann zu Hilfe, doch Schadeck gab keine Ruhe. »Glaubt ihr wirklich, das alles hier geschieht aus Zufall? Der Psycho weiß doch was! Vielleicht steckt er ja mit dem Seelenbrecher unter einer Decke?«
Yasmin schlug fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper, doch niemand beachtete sie.
»Wieso sollte Bruck dann mit seinen Rätseln den Verdacht ausgerechnet auf seinen Partner legen?«, fragte Greta entrüstet und deutete auf die Rätselkarte auf dem Metalltisch.
»Außerdem würde das ja bedeuten, dass auch Sie mit drinhängen, denn Sie haben ja …« Der Hausmeister wich reflexartig einen Schritt zurück, als er die Faust auf sein Auge zufliegen sah. Doch der Angriff galt nicht ihm.
Auch Caspar hatte ihn kommen sehen und hätte ihn vielleicht sogar abwenden können, wenn sein Unterbewusstsein nicht schon wieder die Notbremse gezogen hätte. Eine rasche Drehung – und Tom wäre es nicht gelungen, sein Shirt zu packen und vom Kragen an abwärts aufzureißen. Er hörte noch, wie die billigen Baumwollfasern nachgaben. Das sehnige Knirschen harmonierte auf eine paradoxe Art und Weise mit dem Quietschen in seinen Ohren. Der Erinnerungszug war zurück und füllte seine Nase mit dichtem Rauch.
»Scheiße, was ist das denn?«, hörte er Schadeck noch entsetzt fragen, bevor Caspar fühlte, wie er nach hinten kippte und ins Leere fiel. Danach war seine Zunge gelähmt, und er konnte die Herkunft der Brandnarben nicht mehr erklären, die der Sanitäter soeben auf seiner Brust entdeckt hatte. Caspar fehlte die Kraft, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf die Erinnerungssequenzen, die auf ihn zurollten.
     

Echorausch
    »Es kann losgehen. Sie ist jetzt so weit.«
Er saß wieder an dem Schreibtisch, die Frauenstimme flötete erneut aus der Gegensprechanlage.
»Wir haben alles vorbereitet, Herr Dr. Haberland.« Er legte das Diktiergerät zur Seite.
Haberland? Ist das etwa mein Name?
Gefangen in seiner dreidimensionalen Erinnerungsrückblende, stand er langsam auf, ging durch sein Büro mit den medizinischen Urkunden an der Wand und öffnete eine weißgepolsterte Tür.
Dann stellte der Regisseur seines Gedächtnisfilms auf schnellen Vorlauf, und er sah nur noch hektische Schnitte: das kleine Mädchen, das müde lächelnd ihre Zahnspange entblößte. Ihr blondgelockter Kopf, der schläfrig auf die Behandlungsliege zurückfiel.
Und dann das Zittern. Das spastische Zittern dieses filigranen Mädchenkörpers, der sich wie bei einer Teufelsaustreibung unter starken Händen wand, die ihn vergeblich wieder auf die Liege zurückzupressen versuchten. Seinen Händen.
Caspar hörte ein Klatschen, etwas in seinem Gesicht fing an zu brennen, doch er blinzelte nur, und dann wurde es dunkel. Der Gedächtniszug war in einen Tunnel gefahren oder befand sich mitten in der Nacht in unbewohntem Gelände, vielleicht in einem Wald, denn jetzt sah er eine ganze Weile lang gar nichts mehr. Bis es auf einmal so heftig ruckelte, als wäre der Zug aus seinem Gleisbett gesprungen.
Sein Körper wurde durchgeschüttelt, es klatschte erneut, dieses Mal noch heftiger, und dann war er von einer Sekunde auf die andere in einer völlig veränderten Umgebung gefangen, die ihn an den Traum erinnerte, aus dem Linus ihn vor wenigen Stunden gerissen hatte.
Nun saß er nicht mehr in einem Zug, sondern in einem Auto. In seinem Auto. Draußen schlug dichter Regen gegen die Windschutzscheibe. Schnell, rasend schnell. Noch viel schneller als die Bäume, die seitlich an ihm vorbeiflogen.
Warum jage ich in diesem Tempo durch ein derartiges Unwetter?
Er schaltete den Scheibenwischer an, doch ein nebliger Schleier blieb auf der Windschutzscheibe, selbst beim schnellsten Intervall.
Ich weine! Warum weine ich? Und wieso

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