Der Seelenbrecher
seine Stimme zu heben. Sicher war er sich nicht. »Ich habe jetzt nicht die Kraft, dir das alles zu erklären. Nein, nicht. Hör mir zu.«
Er wand sich auf dem Seziertisch. Den Arm mit der Spritze konnte er keinen Millimeter bewegen, denn Schadeck drückte ihn jetzt mit beiden Händen hinunter. »Du brauchst mich nüchtern.«
»Wieso?«
»Nopor«, hustete Caspar. Die wenigen Worte hatten seine ohnehin vom Rauch geschädigte Kehle noch weiter verletzt. Er verspürte einen unglaublichen Durst, und ein Teil in ihm wünschte sich, Schadeck würde endlich den Rest des Betäubungsmittels spritzen, damit die Schmerzen in seinem Kopf endlich aufhörten. Doch er durfte jetzt nicht schlappmachen, wenn er hier lebend herauskommen wollte.
»Sophia hat uns selbst den Hinweis gegeben«, fuhr er fort und suchte Toms Blick.
»Der Seelenbrecher versetzt seine Opfer unter Hypnose in den Todesschlaf. In diese quälende Spirale zwischen Aufwachen und Einschlafen, aus der sie sich nicht selbst befreien können.«
»Hypnose?«, wiederholte Schadeck ungläubig. »Ja.«
Ablenkung, Schock, Überraschung, Zweifel, Verwirrung, Dissoziation.
Caspar kannte die Faktoren, die einzeln oder kumuliert dafür sorgen, dass ein Proband in einen Zustand versetzt wird, in dem seine Handlungen und Gedanken von außen manipuliert werden können.
»So, jetzt reicht’s mir«, brüllte Schadeck. »Jeder weiß, dass es nicht möglich ist, einen Menschen gewaltsam zu hypnotisieren.«
»Doch!«, widersprach Caspar matt. Er machte den Fehler und streckte sein Kinn nach vorne. Da er seine Bewegungen nicht mehr unter Kontrolle hatte, knallte er nach einer halben Sekunde bereits wieder mit dem Hinterkopf auf den Seziertisch zurück. Ein weiterer greller Blitz durchzuckte seine geschlossenen Augen und beleuchtete für einen kurzen, grauenhaften Moment ein Bild aus der Vergangenheit, das er am liebsten sofort wieder zerrissen hätte. Die Erinnerung an das blondgelockte Mädchen, das den Kopf schüttelt und ihm damit zu verstehen gibt, lieber nicht behandelt werden zu wollen.
O nein. Ich hab es getan. Ich habe meine Tochter gegen ihren Willen …
»Hollywoodmärchen«, hörte er Schadeck wütend schimpfen. »Harmlose Bürger, die zu Attentätern umgepolt werden und auf Befehl Bomben legen, was? Menschen, die Selbstmord begehen, weil jemand ›blaues Hufeisen‹ zu ihnen sagt. Was willst du mir als Nächstes erzählen, um deine Haut zu retten, hä? So was gibt es nicht.«
»Doch«, sagte Caspar. »Ich kann es dir beweisen. Schnall mich los.«
»Träum weiter.« Tom griff wieder zur Spritze.
»Halt, halt, halt.« In Caspars Kopf hatte die Gedankenflut eine kritische Marke überschritten. Der Deich, der seine Kommunikationsfähigkeit sicherte, war kurz davor, zu brechen. Tatsächlich ging die Schulmedizin davon aus, dass niemand gegen seinen Willen in Trance versetzt werden konnte. Was aber, wenn das Opfer nichts von der Einleitung der Hypnose wusste? Was, wenn sein Wille zum Widerstand zuvor durch Schocks, Traumata oder Rauschmittel gebrochen war?
Er wollte Schadeck von einem CIA-Projekt aus der Zeit des Kalten Krieges erzählen, das die Methoden einer militärisch nutzbaren Gehirnwäsche erforscht hatte und zu erschütternden Ergebnissen gelangt war. Dieses Artichoke-Memorandum kannte er aus unerfindlichen Gründen auswendig:
Unter Vorspiegelung einer Blutdruckmessung kann die Versuchsperson zur Entspannung überredet werden. Ein Bluttest kann verwendet werden, um eine Droge zu verabreichen. Eine Augenuntersuchung kann benutzt werden, um die Versuchsperson zu veranlassen, den Bewegungen eines kleinen Lichtes zu folgen oder in ein Blitzlicht zu starren, während verbale Suggestionen gegeben werden.
Caspar wollte Tom von den Vitaminspritzen berichten, die man menschlichen Versuchskaninchen ohne ihr Wissen verabreicht hatte und die in Wahrheit Sodium-Amytal enthielten, von den mysteriösen Alzner-Protokollen, die alleine durch ihre Lektüre das Unterbewusstsein veränderten; und er wollte aus dem Abschlussbericht der Ethikkommission zitieren:
Nach Zufügung stärkster physischer Schmerzen und psychischer Folter, insbesondere durch die Herbeiführung schwerster, traumatisierender Schockzustände, kann es mit Hilfe der Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen gelingen, beeinflussbare Menschen gegen ihren Willen in eine hypnotische Trance zu versetzen und ihr Bewusstsein zu dominieren.
All das und noch viel mehr lag ihm auf der Zunge, doch ihm fehlte die Kraft. Eine
Weitere Kostenlose Bücher