Der Seelenbrecher
war. Hier unten im Keller hätte man es gar nicht hören dürfen. Es sei denn …
Caspar wollte sich aufrichten, griff ins Leere und stürzte auf den harten Steinfußboden.
Er hörte ein Knacken in seiner linken Schulter und brüllte auf. Leider war nur sein Bewusstsein, nicht aber sein Schmerzzentrum betäubt.
Er riss den Instrumententisch um, als er sich an ihm hochziehen wollte. Aus einem Impuls heraus griff er nach einem Skalpell, das ihm direkt vor die Knie gerutscht war, tauschte es dann aber gegen die Spritze aus. Wenn er sich verteidigen musste, dann hätte eine gezielte Injektion eine schnellere Wirkung, auch wenn die Kanüle schon einen guten Teil ihres Inhalts verloren hatte. Er schrie auf, als er aus Versehen sein falsches Bein belastete und sich den Splitter dadurch noch tiefer in den Fußballen rammte. Mühsam hangelte er sich am Seziertisch entlang und humpelte los. Der Ausgang war nur wenige Schritte entfernt, doch vor seinen Augen verschwamm alles. Im ersten Moment glaubte er sogar, die offenstehende Tür würde sich von ihm entfernen, je mehr er sich in ihre Richtung bewegte.
Caspar verlor das Gleichgewicht und musste sich wieder auf den verletzten Fuß stützen, doch wenigstens verhinderte der Schmerz seinen Zusammenbruch.
In seinem Inneren tobte ein schier unlösbarer Widerspruch. Einerseits wollte er fliehen, bevor der Seelenbrecher zu ihm nach unten kam. Andererseits wünschte er sich einen endlosen Schlaf herbei.
Schlaf , dachte er, und plötzlich war der Rauch wieder in seiner Nase, was allerdings auch daran liegen konnte, dass er jetzt auf dem Flur stand, wenige Meter von der Radiologie entfernt, in der er selbst das Feuer gelegt hatte.
Wieso fällt Sophia nicht einfach in einen tiefen Schlaf? Caspar hatte es irgendwie zu dem Fahrstuhl geschafft und drückte den Knopf. Die Treppe kam nicht in Frage. Jede einzelne Stufe war im Augenblick ein unüberwindbares Hindernis.
Er lehnte sich mit der Stirn gegen die geschlossene Tür und dachte nach, während er gleichzeitig die Vibrationen des Kernspins und das Getrampel von Schadecks schweren Stiefeln über ihm im Erdgeschoss spürte. Das Klingeln hatte aufgehört.
Tom hat recht. Weshalb wachen die Opfer nicht einfach auf? Und wieso halten sie alle eine Rätselkarte in der Hand?
Die Liftseile knackten arthritisch, und eine weitere Überlegung löste sich.
Moment mal …
Die Antwort war so naheliegend, dass Caspar es zuerst gar nicht glauben wollte.
Topor. Todesschlaf . Natürlich.
Wir waren so blind.
Es war direkt vor ihren Augen geschehen. Sophia zeigte alle Symptome einer Patientin, die von einem skrupellosen Hypnotiseur manipuliert worden war.
Bruck musste sie zu einem traumatischen Erlebnis ihrer Vergangenheit zurückgeführt haben. Zu ihrer größten Angst, ihrem stärksten Schockerlebnis. Vielleicht zu dem Moment, in dem ihr Exmann ihr die Tochter wegnahm? Dann hatte der Seelenbrecher bewusst die Verbindung zwischen ihm und seinem Opfer gekappt. So wie bei den anderen Opfern.
Er hatte absichtlich einen Rapportverlust herbeigeführt und dafür gesorgt, dass Sophia nicht mehr auf äußere Reize reagierte, damit niemand außer ihm mehr zu ihr durchdringen konnte.
Doch vor dem entscheidenden letzten Schritt war er durch Linus’ Auftauchen gestört worden. Und deshalb geschah bei ihr das, was bei einer fehlerhaften Hypnose normalerweise passiert. Sie wachte auf! Immer und immer wieder aufs Neue.
Caspar erinnerte sich an Sophias flatternde Augen, das Stöhnen, die wenigen Momente, in denen sie eine Reaktion gezeigt hatte und sich mitteilen wollte, bevor sie wieder in ihre Trance zurückfiel.
Und wir hätten sie erlösen können.
Mit einem einzigen Wort hätten sie die Spirale durchbrechen und den posthypnotischen Befehl löschen können, den der Seelenbrecher gesetzt hatte, damit seine Opfer sofort wieder in die Hypnose zurückfielen, wenn sie die Augen aufschlugen. Wenn Licht auf die Pupille fiel. O mein Gott.
Caspar hämmerte gegen die Fahrstuhltür, als hätte dies die Kabine schneller zu ihm nach unten befördern können. Doch die Anzeige über seinem Kopf zeigte keine Bewegung.
Also doch die Treppe.
Er stolperte seitwärts, wehrte einen weiteren Sturz ab, indem er sich in letzter Sekunde am Geländer festhielt, und stemmte sich Stufe für Stufe mit einem Bein nach oben. Das andere zog er nach.
Es war so einfach. Die Lösung des Rätsels war die Lösung des Rätsels.
03.11 Uhr
Er presste die verletzte Hand auf den Brustkorb, um
Weitere Kostenlose Bücher