Der Seelenbrecher
bekam übrigens mein Vater, als er seinen Rausch ausschlief. Doch das war eine höhere Dosis, wenn du verstehst, was ich meine?« Schadeck lachte bellend. »Aber jetzt zu dir. Was hast du mir zu beichten?«
Die Worte des Sanitäters klangen eigenartig, wie in einer leeren Kirche. Sie mischten sich mit dem pulsierenden Wummern des Kernspins, das aber leiser geworden war. So als hätte jemand eine schallschluckende Tür geschlossen, die bislang offengestanden hatte.
»Mir … mir ist was eingefallen«, log Caspar. Gerade war der eben noch präsente Gedanke wieder im Bodennebel seines Bewusstseins verschwunden. Das Narkotikum zeigte seine verwirrende Wirkung.
»Ich höre«, sagte Tom, und die Kälte breitete sich weiter aus.
Jetzt zog sich das Kühlnetz über die Schulter vor bis zum Herzen.
»Du, du hast eben etwas gesagt …« Caspar musste gegen seinen Willen lächeln. Es war absurd. Tom war kein Fachmann. Wenn der Sanitäter sein Körpergewicht falsch eingeschätzt und sich mit der Dosierung auch nur um wenige Milliliter verrechnet hatte, würde Caspar in wenigen Sekunden eingeschläfert werden. Aber bis dahin nahm ihm das Narkotikum seine Angst, stattdessen schienen sich zahlreiche Gedanken gleichzeitig Gehör verschaffen zu wollen, und Caspar spürte, wie viel Kraft es ihn kostete, seinem Mund das unkontrollierte Sprechen zu verbieten.
»Wie hast du das Zeug genannt?« Er starrte auf die Spritze in seiner Armbeuge und wünschte sich, jemand würde ihm kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, damit er bei Bewusstsein blieb.
»Thiopental?«, hörte er Schadeck aus weiter Entfernung fragen, obwohl der dicht neben ihm stand.
»Nein, nein …«
Er blinzelte, dann riss er beide Augen auf und verhinderte mit allergrößter Kraftanstrengung, dass sie sich nicht wieder schlossen.
Natürlich, das ist es.
Er hob seinen Kopf an, so gut es ging und soweit seine schwummrige Übelkeit es erlaubte, und das beschleunigte den Vorgang. Je weiter er das Genick streckte, desto mehr wurde die Weiche in seinem Kopf umgelegt, und der Zug der Erinnerung konnte den Kurs auf einen ersten wichtigen Zwischenbahnhof nehmen.
»Hypnotikum«, sagte Caspar, und seine Halswirbel knackten, als er heftig nickte.
»Du hast gesagt, es ist ein Hypnotikum. Mach mich los, das ist die Lösung.«
03.06 Uhr
Der Druck ließ nach, aber die Kälte blieb. Gleichzeitig fühlte sich Caspar auf eine unangenehme Art berauscht. Sein Herz sprang wie eine kaputte CD. Hin und wieder lief es normal, dann hüpfte es synkopisch, von mehreren Aussetzern unterbrochen, unter seinem Brustkorb auf und ab.
Es tat weh, sehr weh. Der ziehende Schmerz raubte ihm die Luft zum Atmen, doch wenigstens konnte er noch sprechen, auch wenn seine Stimme zunehmend wie die eines Betrunkenen klang.
»Das ist die Lösung«, wiederholte er.
»Was meinst du damit?« Tom musste seine Frage zweimal stellen, bevor Caspar sie endlich verstand. »Die Rätselkarte in Sophias Hand«, stotterte er. »Es ist die Wahrheit, obwohl der Name lügt?«
»Ja.«
»Und?«
»Die Antwort darauf …« Caspar schluckte. Seine Kehle brannte, und seine Zunge schien ihr Volumen verdoppelt zu haben.
»Die Antwort darauf ist ›Hypnose‹.«
»Wieso?«
»Das Wort kommt aus dem Griechischen, Hypnos , der Gott des Schlafes.«
Caspar hatte das unwirkliche Gefühl, sich selbst beim Sprechen zuzuhören, und das auch nur mit einer großen Zeitverzögerung wie bei einem gestörten Überseetelefonat. Aber immerhin hatte er eben einen ganzen Satz formuliert.
»Und was zum Henker soll das heißen?«, fragte Schadeck.
Caspar konzentrierte sich auf seine Atmung, holte tief Luft und zählte beim Ausatmen bis drei, dann antwortete er: »Früher dachte die Wissenschaft, Hypnose wäre ein schlafähnlicher Zustand. Das ist falsch. Im Gegenteil.« Er schloss die Augen wieder und redete lauter, auch um sich durch seine eigene Stimme am Einschlafen zu hindern.
»Der Proband ist wach, nur sein kontrolliertes Bewusstsein ist eingeschränkt. So wie bei den Opfern. So wie bei Sophia. Versteh doch: Der Seelenbrecher hat sie hypnotisiert. Das ist die Wahrheit, obwohl der Name lügt.« »Schwach-sinn!« Schadeck schrie jede Silbe des Wortes einzeln in die Pathologie hinaus, und sein Gebrüll hallte blechern von den Aluminiumkühlfächern wider. Caspar öffnete erst ein Auge, dann das andere, und ein heller Strahl konzentrierten Kopfschmerzes stach ihm durch die Netzhaut direkt in sein Gehirn.
»Wieso?«, schrie er zurück. Zumindest glaubte er,
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