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Der Seelenbrecher

Der Seelenbrecher

Titel: Der Seelenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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doch selbst diese Illusion wollte sich nicht einstellen. Stattdessen litt er unter einer anderen Sinnestäuschung, denn die Fahrstuhlkabine begann sich zu drehen. Sein Kreislauf spielte vollends verrückt. Sein Gleichgewichtsorgan hatte in der Dunkelheit den letzten Anker verloren, und Caspar kreiste innerlich um sich selbst, ohne seinen Körper auch nur einen Millimeter zu bewegen.
Eine halbe Spritze, stark verdünnt.
Schwindelnd musste er daran denken, dass Bruck womöglich gerade wieder zur Besinnung kam, und er war erstaunt, wie gelassen er die Vorstellung akzeptierte, dass der Seelenbrecher in dieser Sekunde seine Hände um die Beine der Esstafel schlingen könnte, um sich an ihnen hochzuziehen.
Solange ich hier im Fahrstuhl stecke, bin ich sicher. Für einen Moment war Caspar sogar der festen Überzeugung, den Aufzug nie wieder verlassen zu können. Mit jeder Sekunde nahm in ihm die Gewissheit zu, nie wieder anzuhalten, sondern auf ewig einen endlosen Schacht hinunterzugleiten, in dem es immer dunkler und heißer wurde.
Umso erstaunter war er, als ein gleißendes Licht seine Augen blendete. Die Türen hatten sich geöffnet. Minus Zwei.
Er war dort angekommen, wo er niemals hinwollte. Er blinzelte und trat in das Licht.
Tock. Klack. Tock. Tock.
Das hellerleuchtete Laborgeschoss musste über die Lüftung mit dem darüberliegenden Stockwerk verbunden sein, jedenfalls dröhnte der Kernspintomograph hier unten wesentlich lauter, als er eben noch im Erdgeschoss zu hören gewesen war. Dennoch nahm Caspar das tranceartige Gestampfe aus der Radiologie nur noch gedämpft wie durch einen akustischen Filter wahr.
Er schirmte die Augen vor dem grellen Halogenstrahler an der Decke ab, der die nackten, armeegrün gestrichenen Betonwände wie ein Kinoscheinwerfer ausleuchtete. Tock. Klack. Tock. Tock.
Caspars Ohren hatten die bedrohlich wechselnden Klopfgeräusche des Kernspins bereits als unvermeidliche Störung akzeptiert, etwa so, wie die menschliche Nase sich an einen schlechten Geruch in einem fensterlosen Raum gewöhnen kann, der für Neuankömmlinge unerträglich bleibt. Seinem geschwächten Bewusstsein war es gelungen, die hypnotischen Laute hinter einen Schutzwall in eine hintere Region seines Bewusstseins zu verschieben. Leider gelang ihm das nicht mit den dumpfen, fast animalischen Schreien, die Caspar im Vorraum des Labors empfingen.
     

03.32 Uhr
    Der innere Kampf drohte ihn zu zerreißen. Zwei Urgewalten hatten sich darauf geeinigt, ihr letztes, klärendes Duell in seinem Körper auszufechten. Und deshalb spürte Caspar, wie die eine Macht ihn nach hinten zog, um ihn zur Flucht zu drängen, während die andere ihn nach vorne schubste, um Sophia zu retten. Er selbst war völlig willenlos, ein Spielball seiner widerstreitenden Instinkte, der wie ein unbeteiligter Dritter eine Szenerie beobachtete, die sein Gehirn nicht akzeptieren wollte.
Sophia saß apathisch, nur wenige Schritte von ihm entfernt, in ihrem Rollstuhl vor einer gläsernen Tür, die das kleine Vorzimmer von dem dahinterliegenden Labor abtrennte.
Köder , schoss es Caspar durch den Kopf. Erst der Schlüssel, dann die Ärztin. Bruck hat die Köder gelegt, die mich ins Verderben führen.
Die geriffelte Milchglasscheibe hinter ihr musste gepanzert sein, denn sowohl die verzweifelten Faustschläge als auch die schweren Fußtritte, die von der anderen Seite gegen den Eingang donnerten, kamen auf seiner Seite nur als höfliches Türklopfen an.
Caspar schlurfte einen Schritt auf Sophia zu und bemerkte gar nicht, dass sein Selbsterhaltungstrieb dabei war, zu unterliegen.
Sophia. Er wollte sie retten. Vielleicht auch nur deshalb, um einen Fehler wiedergutzumachen, an den er sich kaum erinnern konnte.
Die Augen der Ärztin waren geschlossen, ihr Kopf lehnte seitlich gegen den Schürhaken, der immer noch in dem zweckentfremdeten Rohr für die Kopfstütze steckte. Der Infusionsbeutel, der daran befestigt gewesen war, musste bei dem Angriff durch Bruck abgerissen sein, der leere Plastikschlauch baumelte ebenso leblos neben den Speichen der Gummiräder wie Sophias Arme. Kein Zweifel, die Ärztin befand sich in einer anderen, hoffentlich glücklicheren Sphäre. In jedem Fall schien sie von dem Drama, das sich hinter ihrem Rücken abspielte, nichts wahrzunehmen.
Sie wollen, dass ich sie raushole. Himmel, was tut Bruck ihnen da drinnen nur an?
Er sah, wie sich eine Hand im Labor von innen gegen die Scheibe presste. Blut und Haut füllten die Unebenheiten des

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