Der Seelenfänger (German Edition)
eigentlich vorhin in Edisons Labor sagen?«, hakte sie nach.
Sascha legte los. »Ich habe nicht verstanden, warum sich Edison so viele Sorgen um den Prototypen gemacht hat. Und warum der ein so merkwürdiges Aussehen hatte. Die Maschine, die wir in Morgaunts Bibliothek gesehen haben, funktionierte doch tadellos. Außerdem hat sie nicht ständig Schmieröl verloren wie diese hier.«
»Vielleicht war die eine nur zum Abspielen von Seelen da«, mutmaßte Lily.
»Schön, aber was ist dann mit den vielen Walzen, die uns Morgaunt gezeigt hat? Wie konnten die aufgenommen werden, wenn Edisons Prototyp noch gar nicht funktioniert?«
»Glaubst du, dass Edison uns angelogen hat?«
»Einer muss uns jedenfalls angelogen haben.«
»Alles deutet darauf hin«, pflichtete Wolf bei.
»Am Ende des Tages zu dem Schluss zu kommen, dass uns jemand angelogen haben muss, würde ich schon als Zeitverschwendung bezeichnen«, sagte Lily. »Über den Dibbuk haben wir nichts herausgekriegt. Und sowieso, wer auf dieser Welt würde Thomas Edison eigentlich umbringen wollen?«
Sascha sah Lily ungläubig an. Wie wäre es mit jedem Zauberer, Hexer und Einwanderer in New York, wollte er am liebsten fragen.
Doch ehe er irgendetwas sagen konnte, zog Wolf die Morgenzeitung aus der Tasche seines Mantels und breitete sie auf der Sitzbank vor ihnen aus.
HOUDINI DES KABBALISMUS BEZICHTIGT –
THOMAS EDISON SOLL AUSSAGE MACHEN!
lautete die Schlagzeile in dicken Lettern. In dem Artikel hieß es, Edison habe Houdini beschuldigt, bei seinen riskanten Entfesselungsnummern Zauberei zu verwenden.
Dazu wolle Edison nächste Woche vor dem Komitee zur Aufdeckung unamerikanischer Zauberei aussagen. Der Artikel erläuterte nicht, was mit Houdini eigentlich geschehen würde, erging sich aber in ominösen Andeutungen wie »Meineid«, »mangelnder Respekt vor dem Kongress« und »schwere Verbrechen im Umgang mit Magie«.
Das Ganze war unglaublich, fand Sascha. Die Presse verurteilte Houdini schon im Voraus, noch ehe er überhaupt die Gelegenheit gehabt hätte, seine Sicht der Dinge darzulegen. »Eigentlich sollte man erwarten dürfen«, empörte er sich, »dass sich jemand die Mühe macht, ihn zu befragen, ehe man ihn ins Gefängnis steckt.«
»Genau das tun wir jetzt«, sagte Wolf, der immer noch mit dem Medaillon spielte. »Wir fahren zu Houdini.«
11 Der Entfesselungskünstler
Sascha hatte fast damit gerechnet, dass sie Harry Houdini dabei antreffen würden, wie der Meister gerade Elefanten zum Verschwinden brachte oder in Zwangsjacke und mit dem Kopf nach unten vom Flatiron-Hochhaus baumelte. Stattdessen besuchten sie ihn in seinem Heim, einem unscheinbaren Backsteinbau in einem gutbürgerlichen Viertel von Harlem.
Sascha hatte bereits zahllose Fotos von dem berühmten Zauberkünstler gesehen, wie er in Badehosen den muskulösen, mit Ketten und Sicherheitsschlösser, umschlungenen Oberkörper anspannte, die Augen kurz vor dem Zerspringen vor Anstrengung, um sich aus einer lebensbedrohlichen Fesselung zu befreien. Ganz anders der Herr, der Wolf die Hand schüttelte und alle bat, in seinem privaten Arbeitszimmer Platz zu nehmen, denn der trug Anzug und Weste, lächelte freundlich und entsprach genau dem Menschen, der er wirklich war: Erich Weiss, Sohn eines Rabbiners aus Appleton im Bundesstaat Wisconsin.
Sascha wartete darauf, dass Wolf seinen angekauten Bleistiftstummel zückte und Houdini verhörte. Stattdessen holte Wolf Mrs Kesslers Medaillon hervor und reichte es Houdini so gelassen, als ob nichts dabei wäre, ein wichtiges Indiz ausgerechnet einem Tatverdächtigen auszuhändigen, der fähig war, ganze Elefanten bei helllichtem Tage verschwinden zu lassen.
»Was fällt Ihnen dazu ein, Harry?«
»Kein ungewöhnliches Schmuckstück«, versetzte Houdini. »So etwas findet man in jedem Pfandhaus, Max. Wenn Sie das zum Ausgangspunkt Ihrer Hypothese machen wollen, dann werden Sie nicht weit kommen.«
»Das fürchte ich auch«, sagte Wolf. »Leider. Wir haben das in Thomas Edisons Labor im Lunapark gefunden. Offenbar wollte jemand ihn umbringen.«
»Wie? Ist da endlich einer Manns genug, den alten Scharlatan abzuservieren?«
»Viele Leute denken, dass Sie das waren.«
Bei den Worten fing Houdini so herzhaft zu lachen an, dass Sascha sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. »Wenn ich Tom Edison umbringen wollte«, sagte er, als er sich wieder von seinem Lachanfall erholt hatte, »hätte ich mir bestimmt nicht diese Woche dazu ausgewählt.
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