Der Seelenfänger (German Edition)
Erster sprechen zu wollen. Sascha fiel der Kontrast zwischen beiden Männern auf. Houdini war eher klein, muskulös und von gepflegtem Äußeren. Wolf hingegen war groß, schlaksig und wirkte fast schmuddelig. Da er seine beeindruckenden Augen hinter trüben Brillengläsern verbarg, fehlte an ihm ein markanter Zug. Und doch verband die beiden Männer irgendetwas.
»Sollte es wirklich ein Dibbuk sein«, sagte Houdini schließlich, »können Sie nichts tun, um Edison zu schützen. Früher oder später wird der Dibbuk ihn verzehren und ihn zu einer
Kelippah
, einer bloßen Hülle, machen. Wenn das geschieht, wird er zur Marionette desjenigen, der den Dibbuk auf ihn gehetzt hat.«
»Dann ist der eigentliche Mörder also der Mann, der den Dibbuk gesandt hat«, folgerte Wolf. »Den müssen wir ausfindig machen.«
Doch Houdini schien zu zögern.
»Was befürchten Sie, Harry? Dass es ein Rabbi ist?«
»Das kann nicht sein! Ein Rabbi würde so etwas niemals tun! Und selbst wenn es so wäre, können Sie doch unmöglich einen Rabbi wegen eines solchen Verbrechens verhaften!«
»Kann ich das nicht?«, sagte Wolf mit einer gefährlich ruhigen Stimme, wie sie Sascha bisher noch nie bei ihm erlebt hatte. Sascha lief es kalt den Rücken herunter, er erinnerte sich daran, dass Wolf ja Polizist war. Ein unkonventioneller Vertreter seines Berufs, der sich im Allgemeinen nicht die Finger schmutzig machte. Aber eben doch ein Polizist.
»Sie wissen genau, was ich meine«, protestierte Houdini. »Wenn Sie in dieser Stadt einen Rabbi vor Gericht stellen wollen, weil er mit Magie einen Mordanschlag verübt hat, dann legen Sie die Lunte an ein Pulverfass.«
»Bisher geht es ja nur um einen versuchten Mordanschlag«, stellte Wolf sachlich fest.
»Das ist kein großer Unterschied. Schon bald wird auf den Straßen Blut fließen!«
Die letzten Worte hatte Houdini regelrecht geschrien, während Wolf weiterhin mit seiner gefährlich tonlosen Polizistenstimme sprach. »Um Ruhe und Ordnung auf den Straßen kümmert sich Colonel Waring. Meine Aufgabe ist es, Verbrecher zu fassen.«
Houdini schlug zornig mit der Faust auf den Tisch. »Warum verhaften Sie dann nicht diesen verdammten James Pierpont Morgaunt? Sie wissen doch, dass er dahintersteckt. Sie wissen sogar, dass er hinter allen dunklen Machenschaften steckt, die in dieser Stadt betrieben werden! Und dennoch warten Sie und drehen Däumchen! Sie sind nicht besser als Roosevelt!«
»Immerhin bin ich noch hier.«
»Und Ihnen bleibt noch viel zu tun!«
»Wenn Sie mir genügend Beweise für eine Anklage gegen Morgaunt liefern, dann werde ich ihn verhaften.«
»Das hat Roosevelt auch gesagt – und was ist mit ihm geschehen?«
Wolf zuckte mit den Schultern, er schien nicht beeindruckt. »Ich habe nicht so viel zu verlieren wie Roosevelt.«
»Sie haben noch Ihr Leben. Wenn Sie sonst nichts haben, das kann man Ihnen nehmen.«
»In dem Punkt ist Mr Morgaunt der gleichen Meinung wie Sie«, versetzte Wolf. »Er hat mich schon gewarnt. Ich fand das ausgesprochen rücksichtsvoll von ihm.«
Wolf erhob sich. Sascha folgte ihm zur Tür, aufgewühlt und verstört wie er war. Auch Lilys Gesicht verriet ähnliche Gefühle.
Houdini verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte, als er seine Besucher gehen sah. »Ich möchte Ihnen wirklich helfen, Max.«
»Ich weiß.«
»Aber Sie machen es mir nicht leicht.«
Dafür schenkte ihm Wolf ein kurzes Lächeln. »Auch das weiß ich.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Was Sie sowieso schon vorhatten. Schicken Sie Edison Ihre Herausforderung. Geben Sie Morgaunt das, was er unbedingt will: ein öffentliches Duell zwischen Ihnen und dem Ätherographen. Aber Harry, seien Sie vorsichtig.«
»Bin ich doch immer.« Houdini grinste. »Soweit sich das ein Mann in meinem Gewerbe leisten kann!«
12 Der Geldmantel
Auf der langen Droschkenfahrt zurück nach Manhattan gingen Sascha Fragen durch den Kopf, die er nicht stellen durfte. Alle drehten sich um das Medaillon – und er mochte gar nicht daran denken, dass Wolf ihn überraschen könnte.
Er schielte zu Wolf hinüber, der es sich in der gegenüberliegenden Ecke der Droschke gemütlich gemacht hatte. Wolf hatte die Brille abgenommen und putzte die Gläser mit seiner Krawatte. Er musste wohl gemerkt haben, dass Sascha ihn ansah, denn er hob den Blick und lächelte ihn an. Im Abendlicht leuchteten seine Augen in einem hellen Grau wie die Morgendämmerung auf hoher See. Und diese Augen würden Sascha
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