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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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geduldig. »Noch nicht.« Und als Houdini erneut widersprechen wollte, hieß er ihn mit einer Handbewegung schweigen. »Morgaunt hat es auf die Lebenden abgesehen, Harry, nicht auf die Toten. Und wenn er wirklich ein Magier ist, dann von einer ganz neuen Art.« Hier lächelte er grimmig. »Ein Magier für das Maschinenzeitalter.«
    Houdini sackte in sich zusammen. »Sie haben also auch Angst vor ihm«, flüsterte er.
    »Ich wäre ein Tor, wenn nicht.«
    »Was wollen Sie dann von mir?«
    Wolf wies mit dem Kinn auf das Medaillon, das Houdini immer noch in den Händen hielt.
    Houdini warf einen nervösen Seitenblick auf Sascha. »Vor ihm?«, fragte er. Dann zuckte er mit den Schultern. »Warum auch nicht? Schließlich kann mich keiner wegen Magie belangen, wenn ich es für eine polizeiliche Ermittlung tue. Außerdem möchte ich gern wissen, was der Junge tatsächlich sieht. Sozusagen aus beruflicher Neugier.«
    Houdini schaute Sascha direkt an und hielt das Medaillon so hoch, dass es sich, funkelnd wie Sonnenstrahlen auf einer Wasseroberfläche, zwischen ihnen in der Luft drehte. »Nun, Sascha. Was siehst du jetzt? Magie oder Illusion? Echter Zauber oder Zaubertricks?« Während Houdini diese Fragen stellte, drehte er das Medaillon in seinen Händen und brachte es zum Verschwinden.
    »Illusion«, entschied Sascha. Ihm war schwindelig, aber seiner Antwort war er sich ziemlich sicher. Houdini stand im hellen Tageslicht vor ihm, keine magische Aura umgab ihn. Seine flinken Finger strahlten keinen Zauberbann aus.
    »Und jetzt?« Houdini streckte eine Hand aus und zog das Medaillon aus Lilys Ohr.
    »Illusion.«
    »Und jetzt?« Wieder verschwand das Medaillon und tauchte wenig später in Houdinis linker Hand auf.
    »Illusion.«
    »Und jetzt?«
    Diesmal führte er keinen Trick vor, sondern hielt das Medaillon nur hoch und schaute es einfach an.
    »Oh … was machen Sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand Houdini. »Ich habe diese Fähigkeit seit meinem dreizehnten Lebensjahr. So wie du Magie sehen kannst. Wenn ich etwas in der Hand halte, sehe ich die Erinnerung an all die anderen Menschen, die den Gegenstand vorher besessen haben. Vielleicht ist es das, was Edison ›ätherische Ausstrahlung‹ nennt. Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Menschen lassen etwas von sich selbst auf allem, was sie berühren. Und wenn sie etwas oft berühren und sich sehr um es sorgen, dann teilen sie ihm viel von ihrem Wesen mit.«
    Sascha sah gebannt und atemlos zu, wie Houdini das Medaillon in der offenen Hand wog. Zauberkraft wetterleuchtete um ihn, die Hand, die das Medaillon hielt, loderte geradezu.
    »Ich sehe eine Frau, die schier unvorstellbare Schrecken durchgemacht hat«, flüsterte Houdini. »Feuer und Tod, Menschen, die ohne alle Habe um ihr Leben rennen. Sie hat jetzt einen sicheren Hafen erreicht und gehört nicht zu denen, die vergangenem Leid nachhängen. Aber der Kummer ist immer noch da. Ich kann ihn spüren, denn sie spürt ihn jedes Mal, wenn sie dieses Medaillon berührt.«
    »Und der Attentäter?«
    Houdini wog das Medaillon erneut in der Hand, betrachtete es eingehend, bis es ihn schauderte und er es wieder in Wolfs Hand drücken wollte.
    Wolf weigerte sich, es anzunehmen. »Versuchen Sie es noch einmal, Harry!«
    Houdini fuhr sich mit der Hand über die Stirn und lehnte sich an den Schreibtisch, so wackelig stand er plötzlich auf den Füßen. »Ich kann es nicht, Max, ich ertrag’s nicht. Irgendetwas hat nach ihr das Medaillon berührt. Das war kein Mensch, ich spüre da nur Kälte, Hunger und eine schreckliche Leere.«
    »Ein Dibbuk?«
    Houdini hob erstaunt den Kopf. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte er in einem Ton, der verriet, dass er über diese Vorstellung genauso unglücklich war wie Sascha.
    »Ein Augenzeuge hatte diesen Gedanken.«
    »Ach kommen Sie, Harry, erzählen Sie mir nicht, dass Edison jetzt auf jüdische Laborgehilfen zurückgreift!«
    »Das nicht«, gab Wolf zu und musste dabei grinsen. »Aber ein italienisches Mädchen, dessen Cousine ganz zufällig einen jüdischen Freund aufgegabelt hat.«
    »So etwas gibt es nur in New York!«
    »Sie scheint sich jedenfalls auszukennen. Könnte es ein Dibbuk sein?«
    »Der Gedanke ist mir zuwider, aber er scheint stimmig. Eine bessere Erklärung fällt mir auch nicht ein.«
    »Was bedeutet das für uns?«
    Houdini rieb sich das Kinn. Er und Wolf sahen einander an.
    Jeder versuchte den Gesichtsausdruck des anderen zu ergründen, aber keiner schien als

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