Der Seelenfänger (German Edition)
nehme ich mir vielleicht Zeit für Romantik. Aber noch« – und sie legte eine Hand an die Brust und seufzte pathetisch –, »noch bin ich eine Magd der Wissenschaft!«
Wolf hustete. »Und Mr Edison ist …?«
»Er gibt mir Lektionen im Erfinden. Meinen Sie etwa, man wacht eines schönen Morgens auf und legt mit dem Erfinden los? Weit gefehlt! Sie müssen üben, üben, üben. Das ist wie beim Stepptanzen.«
»Und Ihre Mutter weiß von diesen Lektionen gar nichts?«
»Sie würde das nicht verstehen«, klagte Rosie. »Sie will nur, dass ich ein Star werde.«
»Pardon. Ein was?«
»Ein Star. Eine Berühmtheit. Ich soll Schauspielerin werden, mein Bild soll in allen Zeitungen stehen und ich soll einen Millionär heiraten.« Rosie seufzte. »Ich weiß, dass sie nur mein Bestes will, aber ein Mädchen kann nicht nur ans Praktische denken. Ein Mädchen muss auch Träume haben dürfen!«
»Und mit seinen Lektionen hilft Ihnen Mr Edison, Ihre Träume zu verwirklichen? Und das gratis?«
»Nicht doch! Gegen Hilfsdienste. Ich bin seine Laborassistentin. Das bedeutet, dass ich die Versuche protokolliere und nachher sauber mache, wenn er etwas in die Luft gejagt hat. Außerdem kriege ich die Stromschläge ab.« Dabei grinste Rosie über das ganze Gesicht und zeigte zweiunddreißig makellos weiße Zähne plus einem limettengrünen Kaugummi. »Aber wie es bei der Pferdewette heißt: Wer sein Geld nicht riskiert, für den laufen die Pferde auch nicht!«
Wolf verkniff sich ein Grinsen. »Und war Mr Edison gerade dabei, Ihnen einen Stromschlag zu versetzen, als der …, äh, …«
»Als der Dibbuk auftauchte?«
Wolf hielt mit dem Schreiben inne. »Glauben Sie auch, dass es ein Dibbuk war?«
»Ich weiß es.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Wolf nach.
»Er hatte alle wohlbekannten Merkmale: den kalten, hungrigen Blick, das unheimliche Stöhnen, das Zähneknirschen, den Schatten, der ihn umgibt. Außerdem sah er auch aus wie ein Dibbuk.«
»Und wie sieht Ihrer Meinung nach ein Dibbuk aus?«
»Na, Sie wissen doch!« Rosie deutete vage in Saschas Richtung. »Wie ein netter jüdischer Junge.«
»Für ein italienisches Mädchen scheint sie sich ja erstaunlich gut mit Dibbuks auszukennen«, sagte Lily sarkastisch. »Bin ich die Einzige, die das etwas merkwürdig findet?«
Sascha zuckte beim Klang von Lilys Stimme zusammen. Er war so sehr von Rosie gefangen genommen gewesen, dass er alles um sich herum vergessen hatte. Nun bemerkte er Lily, die gleich neben ihm saß und eine Miene machte, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
»Ich weiß alles über Dibbuks«, behauptete Rosie, ohne sich um Lilys giftigen Ton zu scheren. »Meine Cousine Maria geht mit einem Jeschiwa-Schüler. Sagen Sie das aber bloß nicht meiner Mutter, denn die würde es Marias Mutter sagen und dann gäbe es mehr als nur Geschrei!«
»Wenn er mit einem katholischen Mädchen geht, kann er aber kein richtiger Jeschiwa-Schüler sein«, merkte Sascha an.
Rosie machte ein erstauntes Gesicht. Offenbar war ihr nie der Gedanke gekommen, dass die Eltern des Jungen genauso aufgebracht sein könnten wie die Eltern des Mädchens. »Ja, vermutlich würde seine Mutter ein ähnliches Gezeter machen, wenn sie es erfahren würde. Wäre es nicht zum Schießen, wenn sie beide zur gleichen Zeit dahinterkämen? Die würden wahrscheinlich alle Fensterscheiben in Manhattan einwerfen.«
Rosie brach bei dieser Vorstellung in schallendes Gelächter aus und steckte auch Sascha mit ihrem Lachen an. Bis ihn ein Rippenstoß von Lily wieder unsanft auf den Boden der Tatsachen brachte.
»Ein verschwendeter Tag!«, stellte Lily fest, als sie sich für die Heimfahrt im Zug niederließen.
»Wirklich?«
»Etwa nicht? Wir zuckeln den ganzen Weg bis Coney Island und was haben wir am Ende vorzuweisen außer einem verlorenen Medaillon?«
»Wir wissen, dass es den Dibbuk wirklich gibt«, warf Wolf ein.
»Vorausgesetzt Sie glauben, was der Stern des Orients sagt«, höhnte Lily.
»Oh, da bin ich mir nicht sicher«, sagte Wolf. »Was denkst du, Sascha? Du bist heute so schrecklich still.« Wolf hatte das Medaillon aus der Tasche genommen und drehte es unentwegt zwischen seinen knochigen Fingern.
Sascha starrte wie gebannt auf das Medaillon. Wenn ihn jetzt nicht irgendetwas zurückhielt, so fühlte er, müsste er gleich reden, und einmal begonnen, würde er nicht eher aufhören, bis er Wolf alles gestanden hätte.
Am Ende war es Lily, die ihn rettete. »Was wolltest du
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