Der Seelenfänger (German Edition)
wissen. Der Kunst ist sie tief verbunden, obwohl sie sonst, wenn ich das anfügen darf, noch keine Bindung eingegangen ist – ein Umstand, den Sie, wenn Sie wieder einmal bei den Astrals, Vanderbilks oder anderen Magiern von der Wall Street zum Essen eingeladen sind, gelegentlich erwähnen dürfen.«
Gerade in diesem Augenblick ging die Tür zur Garderobe auf und Little Cairo erschien. Sie erfasste sofort die Lage, schürzte die Lippen und wandte sich an ihre Mutter. »Mamma«, sagte sie mit einem Akzent, der unverkennbar aus Little Italy kam, »ich brauche jetzt unbedingt einen Milchshake.«
»Jetzt?«
»Ja, jetzt gleich.«
»Aber Kind, denk doch an deinen guten Ruf! Du empfängst einen Gentleman in deiner Garderobe, ohne dass deine liebe Mutter zugegen ist, die …«
»Mamma, ich glaube nicht, dass Mr Wolf auch nur im Entferntesten daran denkt, sich Freiheiten herauszunehmen, schon gar nicht in Gegenwart dieser beiden liebenswürdigen Kinder.«
»Aber Rosie, wirklich …«
»Mamma, ich habe diese Woche zwei Pfund verloren.« Little Cairo zupfte am Bustier ihres knappen Bühnenkostüms. »Wenn ich noch mehr abnehme, müssen wir alle meine Kostüme enger machen lassen.«
Die Mutter sah ihre Tochter entsetzt an. Rosies Bühnenkostüme auch nur um einen Zoll enger zu machen, bedeutete für sie anscheinend, auf alle mütterlichen Träume von einer Broadwaykarriere und einer Heirat in die feinen Kreise der Gesellschaft zu verzichten. »Einen Milchshake«, wiederholte sie, »jetzt und mit viel Malz! Sag, Liebling, schaffst du vielleicht auch zwei?« Halb zu sich gewandt, klagte sie, wie schwer es doch sei, darüber zu wachen, dass ein noch im Wachstum befindliches junges Mädchen seine Figur behält, wenn es spätabends auftreten und sonntags sogar zwei Vorstellungen hintereinander geben musste.
Während die Mutter davoneilte, schaute ihr Little Cairo mit einem Ausdruck milder Genervtheit nach. Dann kehrte sie in ihre Garderobe zurück, wo sie vor einem wackeligen Schminktisch mit herzförmigem Spiegel Platz nahm.
»Machen Sie sich’s bequem«, sagte sie zu Wolf und den Lehrlingen. »Und ich bin so frei und werfe dieses Dingsbums ab. Es juckt nämlich gewaltig!«
Sie schaute wieder in den Spiegel, griff in ihre rabenschwarzen Locken – und zog sie sich samt Schleier und Spangen vom Kopf. Das Haar unter der Perücke war von einem tiefen, satten Tizianrot, ein Farbton, von dem jede modebewusste Dame in New York träumte. In Little Cairos Fall war die Haarfarbe offenbar ganz natürlich, und Gleiches galt auch für ihre Locken, denen sie mit wenigen gekonnten Griffen einen hinreißenden Schwung verlieh.
Sascha staunte immer noch über die Verwandlung, als Little Cairo eine Sonnenbrille auf ihr süßes Näschen setzte. Dann pulte sie einen gebrauchten Kaugummi vom Rahmen des Garderobenspiegels, wo sie ihn während der Tanznummer abgelegt haben musste, steckte ihn in den Mund und begann, fanatisch darauf zu kauen.
»So«, brachte sie unter heftigem Kauen hervor, »was wolln Sie wissen?«
»Zuerst einmal Namen und Adresse.«
»DiMaggio, Rosie DiMaggio.«
Wolf wühlte schon in seinen Taschen auf der Suche nach dem stets unauffindbaren Bleistift, doch nun sah er sie verblüfft an. »Aber Ihre Mutter sagte doch …«
»Ja, ich weiß. Sie meint, Darling habe mehr ›gesellschaftliches Potenzial‹. Mamma hat es sehr mit dem gesellschaftlichen Potenzial. Ihrer Ansicht nach reicht es nicht, Talent zu haben. Wer berühmt werden will, muss eine Persönlichkeit ausbilden.«
»Verstehe. Und dass Sie für Mr Edison arbeiten, gehört das mit zur Entwicklung Ihres gesellschaftlichen Potenzials?«
Sie hob die Hand wie ein Verkehrspolizist, der den Verkehr stoppte. »Moment mal, eines muss ich klarstellen. Wenn Sie meiner Mutter etwas über Mr Edison sagen, dann, Teufel noch mal, dann werde ich …«
»Dann werden Sie was?« Wolfs Stimme verriet echte Neugier. »Werden Sie mir mit einem Schraubenzieher und einem Kaugummi den Garaus machen?«
Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. »Ihnen wird das Spotten noch vergehen!«
»Sie brauchen mir gar nicht zu drohen, Miss Darling, äh DiMaggio. Ich will ein Zauberverbrechen aufklären. Ihre Liebeshändel interessieren mich überhaupt nicht.«
»Ich habe keine Liebeshändel!«, protestierte Rosie. »Ich bin gar kein tändelndes Mädchen. Sie halten mich wohl für eine von diesen Hupfdohlen. Aber da irren Sie sich! Ich will Erfinderin werden, genauso wie Mr Edison. Später
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