Der Seelenfänger (German Edition)
Edison diese Maschine zu etwas anderem als einem Spielzeug gemacht hat, dann hat er etwas ganz Neues erfunden. Dann könnte ich Ihnen nicht weiterhelfen, denn das übersteigt mein Wissen. Möchten Sie die Aufzeichnung als Erinnerungsstück?«
Wolf betrachtete stirnrunzelnd die Walze. »Danke schön.«
Er nahm sie und ließ sie in seiner Tasche verschwinden.
Wolf gewann seine Fassung rasch wieder. Er wollte die Maschine noch einmal in Betrieb sehen, und als Lily sich gleich für eine Sitzung bereit erklärte, hatte er nichts dagegen. Die Maschine machte ohne Probleme eine Aufnahme von Lily, allerdings klang die Musik in der Wiedergabe sanft und verträumt und ganz und gar untypisch für Lily. Sascha suchte in ihrem Gesicht nach Zügen für diese verborgene Sanftheit.
»Was glotzt du mich so an?«, fragte sie ihn barsch.
»Mach ich doch gar nicht!« Was hatte er da bloß gedacht? Lily Astral war weder sanft noch verträumt noch traurig. Und wenn Worleys komischer Apparat ihr solche Töne verlieh, war das dann nicht der schlagende Beweis, dass alles nur Humbug war?
»Na, jetzt bist sowieso du dran«, stichelte Lily.
»Oh, ich glaube nicht, dass ich …«
Aber da sah Sascha, dass Wolf plötzlich ganz versonnen und abwesend wirkte. Offenbar wollte auch er, dass Sascha mitmachte. Würde Sascha sich weigern, wäre das für Wolf ein Grund, sich für Dinge in Saschas Leben zu interessieren, die besser im Verborgenen blieben.
»Meinetwegen«, sagte er. Es sollte gleichgültig klingen.
Also setzte er sich. Der Stuhl knarrte ungewöhnlich laut unter seinem Gewicht. Mrs Worley schaltete die Maschine an. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich die Mechanik klickend in Gang setzte. Die Walze drehte sich, die Nadel schwebte …
»Das ist seltsam«, sagte Mrs Worley.
Wolf schaute ihr über die Schulter. »Macht er das Gleiche wie ich vorhin?«
»Nein, keineswegs. Und die Maschine läuft tadellos. Sie haben ja selbst gesehen, wie problemlos die Aufnahme von Miss Astral verlief. Dass sie läuft, hört man am Betriebsgeräusch. Es scheint fast so, als wäre …«
»Als wäre was?«
»Als wäre da nichts zum Aufnehmen. Nur … Stille.«
Sascha starrte Mrs Worley an und versuchte, den Sinn ihrer Worte zu verstehen. Er kam sich begriffsstutzig vor. Er nahm seinen ganzen Verstand zusammen, aber alle Ideen, die ihm einfielen, schossen zu einem so grauenerregenden Bild zusammen, vor dem er zurückschreckte, ehe sich ein klarer Gedanke überhaupt bilden konnte.
»Sascha?«
Sascha zuckte zusammen. Wie oft hatte Wolf seinen Namen schon gesagt?
»Sascha, sieh mich an.«
Er sah Wolf in die Augen und erkannte darin tiefes Mitgefühl. Das hätte er nicht für möglich gehalten, wenn er nicht eben erst die Seelenmusik des Inquisitors gehört hätte. Vor seinem inneren Auge entstand plötzlich das Bild, wie Wolf ihn der Gefahr entriss und ihn in Sicherheit brachte, so wie er es für den notgelandeten Mauersegler getan hatte. Für einen kurzen Augenblick überlegte Sascha, alles zu beichten. Aber dann fielen ihm Morgaunts Drohungen ein und er sah die hohen Gefängnismauern von Sing-Sing und die finstere Karikatur des Kabbalisten auf den Werbeplakaten für Edisons Ätherographen. Wolf war ein guter Mensch, doch darauf kam es nicht an. Er konnte den Dibbuk nicht besiegen, keiner konnte das. Und er war letztlich doch Inquisitor. Wolf alles zu beichten würde Saschas Problem nicht lösen, es würde nur die Menschen in Schwierigkeiten bringen, die er liebte.
Sascha wusste nicht, wie er in seiner elenden Verfassung den Weg nach draußen gefunden hatte. Er spürte, dass Wolf und Lily ihn beobachteten, und in Wolfs Augen las er förmlich die Fragen, Zweifel und Vermutungen, zu denen er Anlass gab. Doch er war wie auf dem Grund eines Brunnens gefangen und die anderen zu weit entfernt, um ihn zu erreichen.
Wolf setzte die beiden Kinder in die wartende Droschke und brummte etwas wie, er müsse sich bei ihren Müttern entschuldigen, weil er sie so spät noch nicht nach Hause gebracht hatte. Sascha sah sehnsüchtig die Bowery hinunter Richtung Hester Street, die nur ein paar Häuserblocks entfernt war. Doch er hatte sich in sein Lügengespinst eingesponnen und musste sich wohl oder übel bis zum Haus am Gramercy Square fahren lassen, um von dort aus den langen, zeitraubenden und zu dieser späten Stunde auch gefährlichen Nachhauseweg anzutreten.
Als er schließlich wieder in der Hester Street ankam, taten ihm die Füße weh, er fror und fühlte
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