Der Seelenfänger (German Edition)
nisten an den Gesimsen von Mietshäusern und Wolkenkratzern. Aber am Boden sind sie hilflos. Sie können nicht gehen und auch nicht wieder auffliegen, es sei denn, man wirft sie mit Schwung in die Luft. Auf dem Boden zu landen kommt für sie einem Todesurteil gleich.«
Wolf bekam plötzlich wieder diesen dümmlichen Gesichtsausdruck, den er immer zeigte, wenn er glaubte, etwas zu Persönliches gesagt zu haben. Freilich, dachte Sascha, was um alles in der Welt war denn so persönlich am Flugverhalten von Mauerseglern? »Na, einen Mauersegler retten soll jedenfalls Glück bringen. Und davon brauchen wir jetzt viel.«
Sie fanden ohne Mühe die Adresse, die Mary ihnen gegeben hatte. Das Schild über der Eingangstür war weder das größte noch das neueste in der Bowery, aber bei Weitem das längste. Tatsächlich war es so bekannt, dass Sascha ohne hinzuschauen den Wortlaut aufsagen konnte:
MANDELBROTS AETHERO-THERAPEUTISCHES INSTITUT UND GROSCHEN-MUSEUM
Während die drei Inquisitoren auf das Museum zugingen, hörte Sascha die wohlbekannten Sprüche, mit denen der Ausrufer am Eingang Kuriositäten, tätowierte Sonderlinge und Wachsfiguren anpries. Als letzte und besondere Attraktion kündigte er Madame Worley und ihren geheimnisvollen Seelenfänger an.
Wolf kaufte drei Eintrittskarten und gab das Rückgeld den Bettlern, die er offenbar mit magnetischer Kraft anzog. Im Innern des Museums eilten sie durch ein Kuriositätenkabinett, ehe sie einen schon halb leeren Theatersaal erreichten, in dem vorne auf der Bühne eine müde ausschauende Frau mittleren Alters stand. Neben ihr war eine Maschine aufgebaut, die wie die kleinere und schlichtere Version von Edisons Ätherograph aussah.
Die Vorstellung musste an ihr Ende gekommen sein. Die Zuschauer erhoben sich, rieben sich die Augen, schwatzten miteinander und suchten nach Hüten und Handschuhen. Sascha hatte nicht das Gefühl, dass die Vorstellung ein großer Erfolg gewesen war. Wolf wartete, bis das Publikum den Saal verlassen hatte, dann schritt er den Mittelgang hinauf und blieb vor der Bühne stehen.
Mrs Worley, die schon mit dem Abbau begonnen hatte, hielt inne und schaute Wolf mit trauriger, leicht verwunderter Miene an. »Das Geld ist weg«, sagte sie in einem Ton, als hätte sie die Worte schon so oft gesagt, dass sie für sie keine Bedeutung mehr hatten. »Ich habe nichts mehr. Sie müssen nach Ossining fahren und Ihren Namen auf die Liste der Gläubiger setzen.«
»Ich bin nicht wegen des Geldes hier«, sagte Wolf. »Ich bin hier wegen des Mordes an Ihrem Gatten.«
Mrs Worley starrte Wolf an und der hielt ihrem Blick stand.
»Also glauben Sie auch, dass er ermordet worden ist«, stellte er fest.
»Wer sind Sie?«, flüsterte sie.
Wolf zeigte ihr seinen Dienstausweis, aber ihr Gesicht ließ nur Verbitterung erkennen. »Sie verschwenden Ihre Zeit, Inquisitor. Wenn Sie Ihren Job nicht verlieren wollen, rate ich Ihnen sogar, zu vergessen, dass Sie mich gesehen haben.«
»Dafür ist es jetzt zu spät, Mrs Worley. Wollen Sie mir nicht berichten, was geschehen ist?«
Sie seufzte und ließ die Schultern hängen – aber nur einen Augenblick lang. Sie war eine Frau, die von Kindesbeinen an gelernt hatte, Haltung zu bewahren, und das gab sie nicht auf, nur weil sie ihren Mann und ihr ganzes Vermögen verloren hatte und nun in einer drittklassigen Zaubervorstellung in einem Groschen-Museum in der Bowery auftreten musste.
»Sie fuhren in einem großen, schimmernden Automobil vor und hatten Schmeicheleien im Gepäck«, sagte sie.
»Wer? Edison und Morgaunt?«
»Nein«, sagte sie verächtlich. »Edison und diese Frau. Ich habe erst später herausgefunden, dass sie für Morgaunt arbeitete. Sie haben meinem Mann mehr Geld angeboten, als er je in seinem Leben gesehen hatte. Mehr als er ablehnen konnte, ganz gleich, welche Bedingungen sie daran knüpften. Später merkten wir dann, dass sich alles, was mit diesem Geld in Berührung kam, in Nichts auflöste.«
»Wall Street Zauber?«
»Aber ein besonders raffinierter, Inquisitor. Nichts, was man je nachweisen könnte, auch nicht mit einem Heer von Buchprüfern. Sie haben uns alles genommen. Und am Ende haben sie mir auch meinen Mann genommen und ihn durch diesen … Spuk ersetzt.«
Wolf lehnte sich vor.
»Oh ja«, fuhr sie fort. »Mein Mann ist tatsächlich umgebracht worden. Zwei Tage, bevor er Selbstmord beging.«
»Sind Sie sich da ganz sicher?«
»Schließlich bin ich seine Frau. Glauben Sie, ich hätte den
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