Der Seelenfänger
dunkel war. Er zog sich aus und legte sich aufs Bett, fuhr aber gleich wieder hoch und griff nach dem Telefonhörer.
Die Vermittlung meldete sich. »Ja bitte, Dr. Talbot?«
Er bat um eine Verbindung mit Dallas. Nach dem zweiten Klingeln hob jemand ab. »Hier bei Mrs. Dawson.«
»Mein Name ist Talbot«, sagte Preacher. »Ist meine Frau da?«
»Nein, Dr. Talbot, das tut mir leid«, sagte das Hausmädchen. »Sie ist mit Mrs. Dawson und den Kindern einkaufen gegangen. Kann ich was ausrichten?«
»Ach ja, bitte«, sagte Preacher erleichtert. »Können Sie ihr bitte sagen, daß ich überraschenderweise nach Los Angeles mußte? Ich rufe später noch einmal an.«
»Ja, gern«, sagte das Mädchen.
»Vielen Dank«, sagte Preacher, legte den Hörer auf und ließ sich aufs Bett sinken. Er starrte ins Dunkel. Nichts schien zu klappen. Der Vorstand, der gegen ihn intrigierte, dann Jane, und jetzt der Ärger mit den Sängern. Merkwürdig, seit er vierzig war, lief er der Zeit hinterher, und er hatte das Gefühl, er würde sie nie wieder einholen. Er war müde. Sehr müde. Er schloß die Augen und sank in den Schlaf.
Der süße Geruch von Marihuana drang in seine Träume. Er wehrte sich dagegen, das war nicht der richtige Zeitpunkt. Aber der Geruch wurde stärker. Er glaubte zu halluzinieren, schlug die Augen auf und fuhr hoch. Der Raum war vollkommen dunkel, nur am Fußende des Bettes erkannte Preacher die Umrisse zweier Gestalten und den Glutpunkt einer Zigarette.
Er griff nach dem Lichtschalter, aber eine schmale Hand stoppte ihn. »Schlaf nur weiter, Preacher. Wir wollen nicht stören«, sagte das Mädchen.
»Ihr stört mich nicht, Charlie.« Er nahm ihr den Joint aus den Händen. »Aber wenn ich schon high werde, will ich wenigstens wach sein, dann macht es mehr Spaß.«
»Wir lieben dich, Preacher«, sagte das andere Mädchen.
»Und ich liebe euch, Melanie«, sagte Preacher und gab ihr den Joint. »Darf ich jetzt Licht machen?«
»Laß nur«, sagte Charlie. Sie knipste die Lampe an.
»Woher wußtet ihr, daß ich hier bin?« fragte er.
Melanie lächelte. »Joe hat es von Lincoln gehört. Wir wollten dich unbedingt sehen. Also haben wir uns heute früh um sieben ganz einfach ins Auto gesetzt, und da wären wir nun.«
»Wir haben dich schließlich seit einem Jahr nicht gesehen«, sagte Charlie.
Preacher schwieg einen Moment. »Macht den Joint aus«, sagte er müde. »Ich habe gleich eine wichtige Besprechung, da brauche ich einen klaren Kopf.«
»Freust du dich nicht, uns zu sehen?« fragte Charlie gekränkt.
»Ihr wißt doch, ich freue mich immer, wenn ihr bei mir seid«, erwiderte Preacher. »Ich glaube, ich werde jetzt duschen, damit ich fit bin, wenn Lincoln zurückkommt.«
»Wie wäre es, wenn wir erstmal ordentlich schmusten?« fragte Melanie. »Vielleicht entspannst du dich dann und schlägst dir den ganzen Krampf aus dem Kopf.«
»Würde ich gerne«, sagte Preacher wehmütig lächelnd. »Ihr seid beide so hübsch. Aber ich habe leider keine Zeit.«
»Nimm sie dir einfach«, sagte Charlie und streifte ihr Kleid ab.
»Sag ihr, daß sie aufhören soll, Melanie«, lachte Preacher. Aber Melanie war bereits nackt und krabbelte vergnügt auf ihn zu. »He! Das könnt ihr nicht machen!«
Sie drückten ihn zurück in die Kissen, massierten und streichelten ihn. Preacher lag vollkommen still, sah ihnen streng ins Gesicht und holte tief Atem. »Kinder, es geht nicht. Es hat keinen Sinn.«
»Natürlich geht’s nicht, wenn du nicht willst«, sagte Charlie. »Wenn du uns wegstößt, hat nichts einen Sinn.« Ihre Augen zeigten einen verdächtigen wäßrigen Glanz.
Preacher wandte sich Melanie zu. Auch in ihren Augen schimmerten Tränen. »Preacher«, flüsterte sie. »Preacher, du darfst uns nicht alt werden.« Sie wischte sich mit dem Handrük-ken die Nase. »Wenn du alt wirst, dann werden wir auch alt.«
Er spürte, daß sich auch seine eigenen Augen mit Tränen zu füllen begannen, zog ihre Köpfe zu sich herunter und drückte sie an seine Brust. Lange Zeit lagen sie still, und ihre Tränen mischten sich auf seiner Haut. Dann ließ er sie los, und die Mädchen standen vom Bett auf. Schweigend sah er zu, wie sie sich anzogen.
»Entschuldige«, sagte Charlie. »Wir hätten nicht kommen sollen.«
»Wir dachten, wenn wir uns Mühe gäben, würde alles wieder wie früher«, sagte Melanie. »Aber das war wohl ein Irrtum. Es ist alles anders geworden. Und auch du bist nicht mehr derselbe. Jetzt wissen wir
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