Der Seelenfänger
und trat in den dahinterliegenden Raum. Keine der relativ hohen Wände ringsum hatte ein Fenster; irgend jemand hatte sie zumauern lassen. Für Beleuchtung sorgte ein altmodischer Kronleuchter, dessen Lampen mit rotem Stoff abgeschirmt waren. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch am anderen Ende des Raumes saß der Mann, nach dem Preacher gefragt hatte. Sein Gesicht lag im Halbschatten, aber man sah, daß er neugierig war. Er sah weder freundlich noch unfreundlich aus, nur neugierig.
»Wir haben uns lange nicht gesehen, Preacher«, sagte er.
»Vier Jahre«, sagte Preacher.
»Du hast dich überhaupt nicht verändert«, sagte Elijah.
»Oh doch«, sagte Preacher. »Ich habe mich verändert; wir haben uns alle geändert.«
»Das ist wahr«, sagte Elijah. »Ich habe zu Allah gefunden. Allah ist Allah, und Mohammed ist sein Prophet.«
»Wir alle suchen Gott, jeder auf seine Art«, sagte Preacher. »Ich habe auf meine Weise zu ihm gefunden, und ich freue mich, daß du ihn auf deine Weise gefunden hast.«
Elijah musterte ihn. »Vier Jahre. Aber du hast dich kein bißchen geändert. Du bist nicht gekommen, um Allah zu suchen. Weshalb bist du gekommen?«
Preacher warf einen Blick zurück über die Schulter. Der
Leibwächter stand immer noch hinter ihm in der Tür. Preacher wandte sich wieder zu Ali Elijah. »Ich habe dir ein Erinnerungsstück mitgebracht«, sagte er, nahm einen kleinen Leinenbeutel aus seiner Tasche, löste die Schnur und kippte den Inhalt auf die Platte des Schreibtischs.
Elijah starrte bewegungslos auf die drei plattgedrückten MGKugeln, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Dann hob er die Hand und schickte den Leibwächter fort. Erst nachdem sich die Tür geschlossen hatte, sah er auf. »Das war in einem anderen Leben«, sagte er. »Der Mann, dem das damals passiert ist, hieß Joe Washington.«
»Der Herr gibt, und der Herr nimmt«, sagte Preacher. »Du lebst noch, also preise den Herrn.«
»Dank sei Allah, dem Gnädigen«, sagte Elijah. Er nahm die plattgedrückten Kugeln auf und wog sie in seiner Hand. »Jetzt sind sie so klein«, sagte er. »Aber als du sie aus mir rausgeholt hast, haben sie mich vor Schmerzen fast umgebracht. Sie fühlten sich an wie Kanonenkugeln.«
Preacher schwieg.
»Was willst du von mir?« fragte Elijah.
»Ich brauche Hilfe«, erwiderte Preacher.
»Das ist mal was Neues.« Elijah lächelte jetzt. »Wir verstek-ken uns hier. Alle Welt jagt uns. Wir haben kein Geld, um unseren Kindern etwas zu essen zu kaufen, und jetzt kommst du und benötigst Hilfe.«
Preacher schob die Hand in die Tasche, zog sechs Fünfzigdollarscheine heraus und legte sie auf den Tisch. »Hier ist jedenfalls mal Geld für die Kinder. Sie sollen wegen unserer Sünden nicht leiden.«
Elijah betrachtete einen Moment lang das Geld, dann hob er den Blick. »Ich wußte es doch. Du hast dich kein bißchen verändert.« Abrupt stand er auf, nahm einen der Scheine und mach-te die Tür auf. »Hier«, sagte er. »Bring das Geld zu Rebecca. Sie soll zu einem der Läden gehen, die rund um die Uhr geöffnet haben, und ein paar Vorräte kaufen. Der Junge soll mitgehen und tragen helfen.«
Elijah schloß die Tür hinter sich und kehrte zu Preacher zurück. »Woher wußtest du, wo du uns findest?«
»Ich habe einfach in meinem Buch nachgesehen«, erwiderte Preacher. »Als du verwundet warst, hast du mich gebeten, einen Brief an deine Mutter zu schreiben. Das hier war die Adresse. Ich wußte zwar nicht, ob du tatsächlich hier bist, aber ich dachte, ich könnte hier genausogut anfangen wie irgendwo sonst.«
Elijah setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und deutete auf einen Stuhl. »In welcher Weise kann ich dir helfen?« fragte er.
Preacher setzte sich. »Ich brauche vier Rauchgranaten mit Magnesium, die die Illusion eines Brandes erzeugen«, sagte er dann. »Außerdem einen Sprengsatz, der stark genug ist, um eine Stahltür mit doppeltem Scharnier aus einer Ziegelmauer zu reißen, einen Zünder mit zehn Sekunden Vorlauf und eine Strickleiter, die vom dritten Stock bis auf die Straße herunterreicht.«
Elijah starrte ihn verblüfft an. »Das ist ja eine ganz schöne Wunschliste. So eine Ausrüstung liegt nicht einfach in der Gegend herum. Das dauert eine Weile, bis so etwas zusammengestellt ist.«
»Ich weiß«, sagte Preacher. »Aber soweit ich mich erinnere, warst du in deinem anderen Leben Stabsunteroffizier bei den Pionieren. Ich habe mir also gedacht, wenn das überhaupt jemand hinkriegt, dann
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