Der Seelenfänger
Ihre Adresse aufschreibt. Noch einmal herzlichen Dank für den Anruf. Gott segne Sie!«
Miß Dawson schaltete ab. »Na, was meinen Sie?«
»Es ist ziemlich lang, oder nicht?«
»Das macht nichts«, sagte Miß Dawson. »Unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß die Leute das mögen. Auf diese Weise wird Ihre Antwort glaubwürdiger.«
Preacher zuckte die Achseln. »Sie müssen es wissen.«
»Das ist mein Job«, sagte Miß Dawson. »Sie kennen die Bibel, wir kennen die Menschen.«
»Aber die Menschen und die Bibel, das ist doch dasselbe.«
Miß Dawson warf ihm einen fragenden Blick zu. »Ich habe den Eindruck, dieser ganze Wirbel gefällt Ihnen nicht so ganz, oder?«
»Ein bißchen merkwürdig kommt das alles mir schon vor«, sagte Preacher. »Aber ich werd’ es schon noch lernen.«
Miß Dawson stand auf. »Ich glaube, Sie lernen sehr schnell, Reverend.«
Es klopfte. »Das Videoband ist jetzt fertig«, rief eine Stimme.
»Komme sofort«, rief Preacher zurück. Er wandte sich wieder der jungen Frau zu. »Woden will mir das Playback der Taufsze-ne zeigen, die wir heute morgen gedreht haben. Kommen Sie mit?«
»Ja, gern«, sagte sie.
»Die Vorführung findet im Ü-Wagen statt«, sagte der Mann, den Woden geschickt hatte. Sie folgten ihm über den Platz.
Der Ü-Wagen war ein riesiger Trailer, der bis unters Dach mit Schneidetischen, Monitoren und elektronischer Ausrüstung vollgestopft war. Rund um den größten Bildschirm standen Lincoln, Woden, Bailey und Smith.
»Film ab«, sagte Woden, als Miß Dawson und Preacher hereinkamen.
Das Licht ging aus, und das Videoband lief über den Schirm. Preacher sah sich selbst und die Mädchen, dann kamen die Schauspieler. Er war verblüfft, wie spontan und realistisch die Szene jetzt wirkte. In wenigen Minuten war alles vorbei, und das Licht ging wieder an.
Lincoln wandte sich um. »Na, was sagen Sie jetzt, Reverend?«
Preacher nickte. »Sie hatten recht, Mr. Lincoln. Es ist wirklich sehr gut. Einen kleinen Einwand habe ich allerdings doch.«
»Und der wäre?«
»Die Kleider. Die Mädchen sehen doch beinahe nackt aus.«
»Ja, da haben Sie recht«, sagte Woden. »Wir sind schon dabei, das zu ändern. Wir haben hellblaue Slips für die Mädchen bestellt, die sie unter den Kleidern anziehen können. Dann gibt es keine Probleme mehr, Reverend.«
»Nachdem Sie bisher schon recht gehabt haben, will ich Ihnen da nicht widersprechen«, sagte Preacher. »Ich überlasse dies Ihnen und Ihrem Geschmack.«
Lincoln lächelte. »Das wird eine ausgezeichnete Show, Reverend. Ich habe ein gutes Gefühl.«
»Hoffentlich behalten Sie recht«, sagte Preacher.
»Reverend Talbot«, rief Bailey.
»Ja, bitte?«
»Ich habe mir erlaubt, Ihre Notizen für die Predigt noch einmal abschreiben zu lassen«, erklärte der Regie-Assistent. »Der Text ist natürlich derselbe geblieben, aber ich habe in roter
Schrift ein paar Regieanweisungen einfügen lassen, damit Sie wissen, wo Sie zur Gliederung und Akzentuierung des Textes den Blick auf eine andere Kamera richten sollen. Sehen Sie sich das bitte mal an? Wenn Sie Fragen haben, sagen Sie mir einfach Bescheid.«
Preacher nahm seinen Text wieder an sich. »Vielen Dank, Mr. Bailey.« Er wandte sich fragend an Lincoln. »Werde ich im Moment noch gebraucht?«
»Nein, Reverend. Ich glaube, es ist alles klar«, sagte Lincoln.
Preacher verließ den Trailer und schlenderte über den Platz. »Na, wo gehen Sie hin?« fragte Miß Dawson, die ihm gefolgt war.
»Ich weiß nicht.« Preacher zuckte die Achseln. »Es geht alles so schnell. Am liebsten würde ich erst einmal abschalten und ein paar Joints rauchen.«
»Aber, Reverend Talbot«, sagte Miß Dawson erschrocken. »Ich hätte nie gedacht, daß ein Pfarrer auch nur im Traum daran denkt.«
»Wir sind auch nur Menschen, Miß Dawson.« Preacher grinste vergnügt. »Was dachten Sie eigentlich, was zum Beispiel der heilige Franziskus gemacht hat, als er in der Wildnis herumgeirrt ist? Ich will es Ihnen sagen: Er hat Blätter, Pilze und Früchte gegessen und außerordentlich starke Visionen gehabt. Glauben Sie, das war Zufall?«
»Ich habe noch nie darüber nachgedacht«, gab sie zu.
»Vergessen Sie nicht, daß ich vier Jahre in Vietnam war, Miß Dawson. Da lernt man eine Menge, im Dschungel.«
Die junge Frau sah ihn nachdenklich an. »Ich habe tollen Stoff bei mir im Hotel«, sagte sie.
Preacher schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das wäre nicht gut, wenn ich jetzt in die Stadt fahren
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