Der Seelenhändler
intensiv in jeder Ritze der Behausung. Der Gestank drohte ihm den Atem zu rauben. Wie schon gestern erhoben sich ganze Schwärme von Fliegen, als er sich den Leichen näherte. Lärmend und wütend summten sie um seinen Kopf herum und veranlassten ihn, kurz stehen zu bleiben.
Das Bild, das sich ihm bot, war unverändert. Die Leichen lagen noch genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Vorne, am Boden, Arnulf und Agnes. Weiter hinten in ihren Betten Anna und Paul. Seitlich, durch einen Verschlag von den anderen getrennt, musste Tassilo liegen.
Ganz gegen seinen Willen wurde er wie gestern erneut von panikartiger Verzweiflung gepackt. Doch diesmal gelang es ihm, sie niederzuringen und das Zittern, das Wut und Schmerz abermals in ihm hervorriefen, zu bezwingen.
Er zwang sich mit energischen Schritten, in die Mitte des Raumes weiterzugehen. Dort stellte er die Pfanne neben der Herdstelle ab und entnahm einem am Gürtel hängenden Lederbeutel die Utensilien zum Feuermachen. Vorsichtig gab er Zunder auf die Schwefelbrocken und zündete ihn an. Gleich darauf stieg gelblicher, beißend stechender Qualm aus der Pfanne empor, und Wolf sah zu, dass er so schnell wie möglich die Behausung wieder verließ. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, wartete er vor der Hütte, bis der brennende Schwefel seine Wirkung tun und Schmeißfliegen und anderem Ungeziefer, das, durch den Verwesungsgeruch angelockt, sich gierig der Leichen bemächtigt hatte, den Garaus machen und den pestartigen Gestank etwas neutralisieren würde.
Erst nach einer guten Weile öffnete er die Tür erneut und sorgte mittels des Astes dafür, dass sie offen blieb. Dicker, gelber Qualm drang nach draußen. Wieder wartete er. So lange, bis der Schwefel völlig verbrannt war und der beißende Dampf sich einigermaßen verzogen hatte.
Endlich war es so weit, das Innere der Hütte einer genauen Inspektion zu unterziehen. Wolf trat über die Schwelle und ging zuerst zum Fenster hinüber, um es zu öffnen.
Er stieß den Riegel zurück und klappte den Laden auf. Wie gestern tanzten auch heute die Strahlen der Sonne in die Hütte und tauchten die grauenvolle Szenerie in helles Licht.
Doch diesmal blieb er gelassen. Er sah sich um – und spürte, wie kalte Ruhe von ihm Besitz ergriff.
Mit einem Mal begann er, die Dinge anders zu sehen. Nicht mit den Augen blinder Panik, wie am gestrigen Tag, als Schmerz und Verzweiflung sein Wahrnehmungsvermögen getrübt hatten. Diese Gefühle waren zwar noch immer vorhanden. Doch sie trübten nicht mehr seinen Blick. Diesmal nahm er das Bild, das sich ihm bot, mit dem Verstand wahr. Analytisch, fast sezierend glitt sein Blick über die Tragödie, nahm er Einzelheiten wahr, die ihm tags zuvor noch verborgen geblieben waren.
Arnulf und Agnes zu Füßen ihrer Bettstatt auf dem Lehmboden liegend. Arnulf lediglich mit seiner Hose bekleidet, Agnes völlig nackt.
In die Hocke gehend, beugte sich Wolf über die entseelten Gesichter der beiden. Noch im Tod hatten sie die Augen halb geöffnet. Warum? Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie waren noch wach gewesen, als die Mörder in die Hütte eingedrungen waren, oder sie waren kurz danach aufgewacht, in Panik hochgefahren und aus dem Bett gesprungen. Kaum hatte er die beiden Möglichkeiten erwogen, verwarf er die Erste auch schon wieder. Dagegen sprach, dass Tassilo und die Kinder im Schlaf getötet worden waren. Hätten Agnes und Arnulf das Eindringen der Mörder in die Hütte jedoch bemerkt, hätten ihre Schreie und Hilferufe Tassilo und die Kinder aufgeweckt, und dies war offensichtlich nicht geschehen. Die Täter hatten den Bruder des Köhlers und die Kinder im Schlaf umgebracht, während das Ehepaar selbst noch geschlafen hatte. Erst danach waren beide, wie und warum auch immer, aus dem Schlaf gerissen worden. Hatten sie sich noch zu wehren versucht?
Das lange, grobe Wollhemd stach ihm ins Auge. Agnes trug es gewöhnlich, wenn sie zur Ruhe ging. Es war zerrissen und, von wem auch immer, achtlos beiseitegeworfen worden. Ein Teil des Hemdes bedeckte sowohl ihre als auch Arnulfs Füße.
Ein fürchterlicher Verdacht begann in Wolf zu keimen. Wurde sie, bevor sie sie töteten, … möglicherweise vor den Augen ihres Mannes … und der Kinder …?
Nein, dachte Wolf und schalt sich einen Narren. Gewiss nicht vor den Augen der Kinder. Sie waren eindeutig im Schlaf getötet worden. Wie Tassilo. Agnes und Arnulf waren allerdings wach gewesen, als der Tod über sie kam. Da war er sich
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