Der Seelenhändler
Wolf, der Graf und Arnim hatten sich darauf geeinigt, so früh wie möglich den Rückweg anzutreten. Zuvor wollten sie sich jedoch noch das Plateau etwas näher ansehen. Für eine intensive Inaugenscheinnahme war zwar keine Zeit – das würde irgendwann in den nächsten Tagen geschehen müssen –, doch wollten sie zumindest einige der diversen Höhlen inspizieren. Es lag auf der Hand, dass sich vor allem dort unzählige Hinweise auf die Tätigkeit der Bande finden würden; insbesondere in jener, in der die Venezianer die letzten vier Wochen ihr Dasein gefristet hatten. Außerdem galt es, Jakob von Schmelzer zu verhören. Wolf war mit dem Grafen und seinem Neffen übereingekommen, ihn, falls notwendig, auch härter anzufassen, um ihn zum Sprechen zu bewegen.
Er hatte die Nacht über kein Auge zugetan.
Wenn er sie jetzt, da es hell geworden war, geschlossen hielt, dann einfach deswegen, weil er nicht wollte, dass sie die Scham in seinem Blick wahrnahmen. Nicht, dass er sich dessen schämte, was er in den vergangenen Jahren getan hatte. Nein, über die einfältige Kritik derer, die seine Taten als moralisch verwerflich bewerteten, fühlte er sich erhaben. Denn schließlich bestand der Sinn des Lebens darin, Erfolg zu haben. Und diesen musste man sich erkämpfen. Das ganze Leben war ein einziger Kampf; nur der, der ihn mit der nötigen Härte führte, konnte ihn gewinnen. Oft genug aber glich das Leben auch einem Spiel, das nur der gewann, der es mit Leidenschaft und vollem Einsatz spielte. Doch gleichgültig, ob Kampf oder Spiel – man musste der Gewinner sein.
Dass das letzte Spiel seines Lebens allerdings ein anderer gewinnen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Anfänglich, an jenem Montag vor vier Wochen, als er von der Absicht, den Klausner auf seine Fährte zu setzen, erfahren hatte, hatte ihn der Gedanke, dass er sein Gegner sein würde, noch amüsiert. Und als Wolf das Spiel eröffnet hatte, hatte er es angenommen. Natürlich hatte er schnell erkannt, dass er einen überaus fähigen Gegenspieler hatte. Was das Spiel jedoch nur noch spannender und erregender machte. Gerade das war ja das Faszinierende an einem solchen Spiel. Nichts ließ sich mit dem Triumph vergleichen, den man empfand, wenn es einem gelang, einen ebenbürtigen Gegner mittels kühner, taktischer Schachzüge strategisch geschickt an die Wand zu spielen. Diese Art des Sieges war ungleich erregender als ein vorzeitiges Beenden desselben durch das plumpe Beseitigen des Betreffenden mittels eines lautlosen Bolzens oder eines im Dunkeln geführten Dolchstoßes.
Diesmal aber hatte er seinen Gegner offenbar gründlich unterschätzt.
Nun gab es nur noch einen Ausweg, und den würde er nehmen. Kompromisslos. So, wie er es sich für den Fall der Fälle vorgenommen hatte. Auch wenn er immer davon überzeugt gewesen war, dass dieser Fall niemals eintreten würde.
„Wollt Ihr nicht endlich antworten, Jakob von Schmelzer? Ihr wisst, dass Ihr einer Reihe schwerster Verbrechen überführt seid. Schweigen macht keinen Sinn – es erschwert Eure Lage nur noch mehr.“
Wolf sowie der Graf und der Hallstatter standen unmittelbar vor dem Gefangenen und sahen auf ihn hinunter. Er lag noch immer mit geschlossenen Augen am Rand des Plateaus in der Nähe der anderen Gefangenen. Die drei Soldaten, die ihn bewachten, befanden sich zu seiner Linken. Die anderen Gallensteiner sowie die venezianischen Kaufherren und die beiden Poetsch-Brüder standen in einiger Entfernung in Gruppen beieinander und warteten gespannt darauf, was weiter geschehen würde.
Von Schmelzer öffnete die Augen und drehte den Kopf.
„Ich werde euch antworten. Aber ich verlange von Euch, dass Ihr mir die Fesseln löst und ich mich erheben darf“, entgegnete er. Seine Stimme klang fest und klar, fast fordernd.
Wolf tauschte mit dem Grafen und dem Hallstatter einen kurzen Blick.
Beide gaben mit einem Nicken zu verstehen, dass sie mit der Forderung einverstanden waren.
„Gut. Wir wollen Eurer Forderung nachkommen“, sagte Wolf. „Binde ihn los und hilf ihm auf die Beine!“, wandte er sich an Bert-hold Fendrich, einen der drei Männer, die den Schmelzer bewachten.
Fendrich beugte sich zu dem Gefangenen hinunter, um ihn von den Stricken zu befreien. Es dauerte eine Weile bis der Steyrer sich mit der Hilfe des Soldaten erheben konnte; er war regelrecht mit Stricken verschnürt gewesen. Als er stand, reckte er zuerst einmal ausgiebig die Glieder.
„Nun?“, fragte er von oben
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