Der Seelenhändler
erhoffte sich Wolf nicht nur die entscheidende Antwort darauf, wer sich hinter der Maske des roten Priors verbarg, sondern auch, wo sich sein derzeitiger Aufenthaltsort befinden mochte.
Doch Schmelzer hatte eisern geschwiegen. Kein Wort hatten sie aus ihm herausgebracht. Wolf hatte darauf verzichtet, ihn mittels roher Gewalt zum Sprechen zu bringen; es war spät, alle waren müde, und es machte keinen Sinn, angesichts der weit vorgerückten Stunde noch weitere Kraftanstrengungen an den Verbrecher zu verschwenden. Nach Sonnenaufgang war immer noch Zeit, ihn einer zweiten Vernehmung zu unterziehen.
Die Venezianer hatten es sich nicht nehmen lassen, ihren Peiniger, mit dem sie schließlich über Jahre hinweg eine prosperierende Geschäftsbeziehung verband, zu demütigen. Als sie den am Boden Liegenden im Schein eines der Feuer gemustert hatten, hatte der seinen Blick abgewandt, eine Reaktion, die zumindest auf einen letzten Rest von Scham schließen ließ. Ohne auch nur ein Wort zu sagen waren Polo, Lombardi, und dal Pietra an ihn herangetreten und hatten ihm ins Gesicht gespuckt – kaum eine andere Geste hätte die Verachtung, die sie für ihn in diesem Augenblick empfanden, treffender ausdrücken können …
In einen der Männer, die am Boden ruhten, schien Bewegung zu kommen. Er erhob sich und streckte die Glieder. An der Art, wie er sich bewegte, erkannte Wolf den Grafen. Der Saurauer sah sich kurz um, und Wolf winkte ihm zu – ein sich bewegender, dunkler Schatten vor dem nackten Fels, der im fahlen Licht des Tages nass glänzte. Als der Graf ihn wahrnahm, winkte er zurück und begann zu ihm hinüberzugehen.
„Nun, Ihr könnt wohl auch nicht schlafen?“, fragte der Saurauer leise, nachdem er die Stufen erklommen hatte. Ächzend ließ er sich an der Seite Wolfs nieder.
„Offensichtlich genauso wenig wie Ihr“, antwortete Wolf lächelnd.
„Ja, nach all dem, was geschehen ist, vermag das ja wohl nur jemand, der ein genügend dickes Fell hat.“
„Wie etwa Euer Neffe, nicht wahr? Er scheint einen gesunden Schlaf zu haben.“ Wolf nickte grinsend zum Lager hinunter.
„Ja“, grinste der Saurauer zurück. „Aber Ihr müsst zugeben, er hat ihn sich redlich verdient. Immerhin hat er sich wacker geschlagen“, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
„In diesem Punkt stimme ich Euch gern zu“, bestätigte Wolf.
Sie schwiegen eine Weile und blickten zu den Feuern hinüber, die am Ende des Plateaus brannten, nahe der Kante, wo der Fels in die Schlucht abfiel. Verschnürten Bündeln gleich lagen dort die gefangenen Schnapphähne. Sie wurden von mehreren Waffenknechten bewacht, die ein wachsames Auge auf sie richteten. Jakob von Schmelzer befand sich etwas abseits von den anderen, für ihn allein waren drei Soldaten abgestellt, die ihn ständig im Blick behielten.
„Was meint Ihr, wird er reden?“, brach der Saurauer das Schweigen und nickte mit den Kopf in Richtung der Gefangenen.
„Ihr meint den Schmelzer? Wir werden ihn dazu zwingen“, gab Wolf grimmig zur Antwort.
Der Graf sah ihn nachdenklich an.
„Eines habt Ihr mir noch nicht verraten, Wolf …“, meinte er und machte eine Pause.
„So, was denn?“
„Noch bevor ich ihm die Maske herunterriss, wusstet Ihr bereits, dass er es war. – Woher?“
Wolf schwieg einen kurzen Augenblick, bevor er antwortete.
„Erinnert Ihr Euch an jenen vierundzwanzigsten Juli, an dem die Steyrer auf Gallenstein ankamen? Es war der Montag nach dem Überfall“, fragte er.
„Aber ja“, gab der Saurauer erstaunt zurück.
„Es war während dieser Besprechung im großen Saal“, fuhr Wolf fort. „Nachdem Ihr den Steyrern offenbart hattet, was geschehen war, unterhielten wir uns darüber, was man tun könne. Jeder gab seine Meinung zum Besten. Auch der Schmelzer – und dabei verriet er sich. Allerdings hat es lange gedauert, bis ich dahinterkam.“
Der Graf schüttelte verständnislos den Kopf. „Das darf nicht wahr sein! Vor vier Wochen, an jenem Montag, kommt dieser Mensch auf meine Burg, und Ihr behauptet, ihn damals bereits durchschaut zu haben? Warum habt Ihr ihn dann überhaupt so lange gewähren lassen? Und vor allem: Warum habt Ihr niemandem etwas davon gesagt?“
„Ihr missversteht mich. Ich habe nicht behauptet, dass ich ihn an jenem Tag bereits durchschaut hätte. Ich habe lediglich gesagt, dass er sich während des Gesprächs verriet. Aber dass es so war, und vor allem, womit er sich verraten hatte, begriff ich erst viel später. Aber lasst mich
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