Der Seelenhändler
Auch Mercedes, die Tänzerin, von der ich dir erzählt habe, hat von solchen Schriftstücken gesprochen. Wenn es sie noch gibt, wovon ich nach wie vor überzeugt bin, dann müssen sie in irgendeinem Versteck lagern, das Arnulf und Agnes nicht preisgegeben haben.“
„So gesehen hast du Recht. Es klingt auf jeden Fall logisch“, sagte Katharina und blickte nachdenklich vor sich hin, während sie durch das hohe Gras zur Hütte hinübergingen.
Mit einem klagenden Laut bewegte sich die Tür in den Angeln. So wie damals, dachte Wolf bitter, als er mit Katharina über die Schwelle trat.
Diffuses Halbdunkel empfing sie.
Und ein eigenartig abgestandener Geruch nach Moder.
Wolf fackelte nicht lange, ging mit schnellen Schritten zum Fenster hinüber, stieß den Riegel zurück und riss den Laden auf.
Ein breiter Streifen hellen Lichtes flutete in die Hütte.
Stumm sahen sie sich um.
Nur wenige Schritte vom Eingang entfernt stand der niedrige, aus rohen Brettern gezimmerte Kasten, der Arnulfs und Agnes’ Bettstatt gewesen war; noch immer lagen Strohsäcke darauf. Dahinter ein weiterer Kasten, die Schlafstelle der Kinder. In der Mitte des Raumes die gemauerte Feuerstelle. Links davon die Bretter des Verschlages, hinter dem einst Tassilos Ruhestätte gelegen hatte.
Katharina fröstelte. Unwillkürlich fragte sie sich, was sie hier noch zu finden hofften. Das Leblose des Raumes, seine Kargheit und Verlassenheit berührten sie fast körperlich.
„Du glaubst nicht, dass hier noch etwas versteckt sein könnte, nicht wahr?“, fragte Wolf, der ihren Blick richtig deutete.
„Du kannst Gedanken lesen“, murmelte Katharina und nickte.
„Nun, das, wonach wir suchen, könnte zum Beispiel in der Hütte vergraben worden sein“, gab Wolf zu bedenken.
„Ja, gut … aber willst du etwa den ganzen Boden hier drin umpflügen?“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich will ihn mir noch einmal genau ansehen. Manchmal verrät einem die Oberfläche ja, was sich unter ihr befindet.“
Sie nickte und musterte aufmerksam den gestampften Lehmboden unter ihren Füßen.
„Warte, ich will noch etwas holen!“, sagte Wolf und ging nach draußen. Nach einer Weile kehrte er mit dem kurzen Stück eines dicken Fichtenstammes zurück, an dem sich zwei kräftige Äste befanden.
Katharina sah ihn erstaunt an.
„Was willst du denn damit?“, fragte sie.
„Den Boden abklopfen“, entgegnete Wolf. „Befindet sich eine Höhlung oder ein Loch darunter oder weist er sonst eine Unregelmäßigkeit auf, wird das Geräusch es mir verraten.“
Er ergriff den Stamm bei den Ästen und rammte das Holz, während er Schritt um Schritt voranging, immer wieder kräftig auf den Boden. Gleichzeitig konzentrierte er sich darauf, auch nicht einen einzigen Schrittbreit auszulassen. Sogar die Betten rückte er zur Seite, wobei Katharina mit Hand anlegte. Bald hatte er so den gesamten Fußboden abgeklopft, ohne jedoch eine einzige auffällige Stelle zu entdecken.
Resigniert ließ er sich auf dem Strohsack nieder, der einst Tassilo als Lager gedient hatte, und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn; die Suche war nicht nur vergeblich, sondern auch schweißtreibend gewesen.
„Und nun?“, wollte Katharina etwas mutlos wissen und setzte sich neben ihn. Dabei mühte sie sich einmal mehr, die Spuren von getrocknetem Blut um sich herum zu ignorieren.
Wolf zuckte die Achseln. „Wir werden es woanders versuchen. Vielleicht bei den Meilern. Womöglich gibt’s dort noch ein weiteres Versteck.“
Als sie die Hütte verließen, um zu den Grubenmeilern hinüberzugehen, tat Katharina es mit dem dumpfen Gefühl, dass sie dort eine neuerliche Enttäuschung erwarten würde.
Sie blickte zu den Pferden hinüber, die am Ufer eines winzigen Baches grasten, der als schmales glitzerndes Band die Senke in südlicher Richtung durchschnitt.
„Gibt es hier eine Quelle?“, fragte sie beiläufig.
„Ja. Sie entspringt dort hinter der Hütte“, antwortete er und deutete mit der Hand hinter sich.
Schweigend schritten sie ein Stück weiter, als sich Wolf plötzlich unsanft am Arm gepackt fühlte. Abrupt verhielt er im Schritt – und sah in die weit aufgerissenen Augen Katharinas, in denen ein seltsamer Ausdruck lag.
Und als ob sie ihr seltsames Verhalten noch steigern wollte, begann sie auf einmal einen lateinischen Spruch aufzusagen: „Aqua profunda verba ex ore viri et torrens redundans fons sapientiae – Tiefes Wasser sind die Reden aus dem Munde eines Mannes;
Weitere Kostenlose Bücher