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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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frei. Die einzig wirkliche Freiheit gehört vielleicht nur den Vögeln über uns“, bemerkte Metschacher plötzlich. Seine ansonsten kräftige Stimme klang leise und brüchig. Langsam drehte er sich wieder zu Wolf um. „Manchmal allerdings erlaubt uns das Schicksal, über unsere Verpflichtungen hinwegzufliegen. Ja, es stellt uns sogar die Flügel dafür zur Verfügung. So ergeht es jetzt Euch und mir. Und glaubt mir, auch diese Gelegenheiten sollte man nützen.“ Ein dünnes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Darum, kümmert Euch nun um Bertram und seht zu, dass Ihr die Gefahr für den Jungen beseitigt. Ich gewähre Euch jegliche Unterstützung dabei.“
    Wolf schwieg einige Augenblicke nachdenklich. „Und Basilius?“, fragte er nach einer Weile.
    „Ich werde den Saurauer auffordern, Soldaten nach ihm auszuschicken. Außerdem setze ich eine hohe Belohnung auf seinen Kopf aus. Er wird entweder ergriffen oder gänzlich aus der Gegend verschwinden. Auf jeden Fall kann er uns nicht mehr gefährlich werden. Die Vergeltung für seine Taten überlasse ich dem Herrn. – Was die Einladung für heute Abend angeht“, wechselte der Prior wieder einmal abrupt das Thema, „würdet Ihr mir die Güte erweisen, mein Gast zu sein?“
    Wolf verbeugte sich.
    „Es wird mir eine Ehre sein“, entgegnete er.

36
    Wenn man vom Stift aus in Richtung Osten wanderte, gelangte man sehr bald an die Stelle, wo die Enns, immer schneller fließend, in einen fürchterlich dunklen Schlund mündete. Gleich einem weit aufgerissenen Maul verschlang eine aus schroffen Felswänden und bewaldeten Steilhängen gebildete Schlucht ihre Fluten. Als wollte sie gegen das drohende Dunkel, das sie rasch umfing, aufbegehren, begann sie auf einmal, panisch zu tosen und weiß zu gischten. Gepeinigt von steinernen Trümmern, die ihr den Weg zu versperren suchten, quälte sie sich in zahllosen Katarakten durch die drangvolle Enge der höhnisch aufragenden Felsen und schäumte an schroffen Waldhängen und Gräben voller Geröll, Sand und toter Hölzer vorbei. Schmolz im Frühjahr der Schnee, oder gingen heftige Regenfälle nieder, verwandelten sich die staubigen, trockenen Schotterbette in reißende Gewässer. Mit höllischem Getöse stürzten die Fluten die Steilhänge hinunter und rissen Grus, Felsbrocken und ganze Baumstämme mit sich, zermalmten und fraßen alles, was sich ihnen in den Weg stellte, um das solcherart Vertilgte schließlich auf dem Grund der Täler wieder auszuspeien.
    Es gab nicht viele, die den Mut aufbrachten, dieses von Trümmern übersäte Reich des Grauens zu betreten: Jäger, Köhler, Holzschläger und der eine oder andere Bauer. Doch wer aus welchem Grund auch immer es tat, vergaß nie, bevor er dort eindrang, sich des Segens des Himmels zu versichern, indem er sich bekreuzigte.
    Zu den Wenigen, die sich ungeachtet all dieser Schrecknisse zumindest ein Stück weit in diese von ewiger Dämmerung erfüllte Schlucht hineinwagten, zählte auch Bruder Magnus, der wohl heilkundigste unter den Benediktinermönchen Admonts.
    Wie jeden Mittwochnachmittag in diesem Sommer, hatte er sich auch heute wieder guten Mutes aufgemacht, um am Eingang der Schlucht nach einigen Heilung spendenden Blättern und Blüten Ausschau zu halten. Die Augen aufmerksam auf den Boden geheftet und einen Weidenkorb in der Rechten, drang er, vergnügt vor sich hin pfeifend, auf einem schmalen, leidlich ausgetretenen Pfad in die Wildnis ein. Mit einem Mal blieb er stehen und ging in die Hocke. Er hatte gefunden, was er suchte. Aus dem Dickicht links von ihm leuchteten ihm die roten Blüten des Rupprechtskrautes entgegen. Magnus beabsichtigte, noch heute einen Aufguss aus dem Kraut herzustellen, denn Bruder Theodor, einer der wenigen Mönche im Greisenalter, litt unter Blutharn, und ein frischer Aufguss aus einer wohldosierten Menge an Rupprechtskrautblättern würde ihm deutlich Linderung verschaffen.
    Soeben hatte sich Magnus wieder aus der Hocke erhoben, als er auf einmal ein seltsames Geräusch wahrnahm, das ganz aus der Nähe zu kommen schien. Überrascht hielt er inne und lauschte. Da, da war es wieder – ein eigenartiges Schnauben drang an sein Ohr.
    Magnus war, als ob eine eisige Hand über seinen Rücken strich. Unwillkürlich erinnerte er sich einer Stelle aus dem berühmten Tractatus de providentia Dei des hochgelehrten Abtes Engelbert von Admont, in dem dieser viele der seltsamen Zwitterwesen beschrieb, welche die einsamen Orte der Welt bevölkern:

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