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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orontes
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ein strömender Bach ist die Quelle der Weisheit“ , rezitierte sie mit flüsternder Stimme den Vers aus dem Buch Proverbia .
    Wolf sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. „Was … was ist mit dir, Liebes?“, fragte er besorgt und umfasste ihre Schultern.
    „Erinnerst du dich nicht? Der Spruch, der Agnes so gut gefiel, dass sie ihn auswendig lernte. Sie hatte ihn von dir. Und sie zitierte ihn Bertram gegenüber, der ihn daraufhin auch auswendig lernte. Als er gerade einmal sechs Jahre alt war. Er hat uns davon erzählt, an jenem Abend, als wir im Weißen Hirschen beisammensaßen“, entgegnete sie aufgeregt.
    „Ja, natürlich, jetzt erinnere ich mich. Aber was soll damit sein?“
    „Kannst du dich auch daran erinnern, was Agnes noch zu Bertram sagte? Ich meine, das mit dem Geheimnis“, drang sie weiter in ihn.
    „Ja … ich glaube schon“, sagte Wolf zögernd. Sein wenig überzeugter Blick verriet allerdings etwas anderes.
    „Sie sagte, Bertram solle sich den Spruch gut merken, er berge ein Geheimnis, das für sein künftiges Leben wichtig sei“, half Katharina seinem Gedächtnis auf die Sprünge. „Auf meine Frage, was es denn mit dem Geheimnis auf sich habe, sagtest du, sie habe damit zum Ausdruck bringen wollen, dass man im Leben möglichst viel lernen soll. Doch was, wenn das, was Agnes sagte, sich gar nicht auf das Lernen, sondern auf das Versteck bezogen hat?“
    „Auf das Versteck? Was meinst du damit?“
    „Aber denk doch mal nach, Liebster. … ein strömender Bach ist die Quelle der Weisheit. Mit anderen Worten: Weisheit, oder auch die Wahrheit, findet sich in einem Bach – oder an seiner Quelle …“
    Diesmal sah Wolf sie an, als sei sie ein Engel aus der Offenbarung des Johannes.
    „Ja, vielleicht hast du Recht. Es könnte immerhin sein“, murmelte er verblüfft. „Komm, lass uns zur Quelle gehen!“, fuhr er fort, wobei neuer Elan in seiner Stimme lag. Er machte kehrt und strebte mit langen Schritten den Weg zurück, den sie gekommen waren, sodass Katharina Mühe hatte, ihm zu folgen.
    Sie brauchten nicht lange, bis sie an die Quelle des Wasserlaufs gelangten – eine mit Kies und Steinen gefüllten Mulde unmittelbar am Fuß des Steilhangs, aus deren Mitte zaghaft, aber stetig Wasser aus dem Boden hervorsprudelte. Als schmales Rinnsaal speiste es nur einige Schritte entfernt einen Tümpel, der nicht mehr als ein drei Ellen tiefes Loch war, das einen Durchmesser von vielleicht vier Ellen haben mochte und dessen Grund ebenfalls von Kies, Sand und Steinen gebildet wurde. Von hier aus floss das Wasser in einem schmalen Bett als glitzerndes Band die Anhöhe hinunter, durchquerte die Senke und verließ diese schließlich in südlicher Richtung.
    Langsam schritt Wolf prüfend den Quellort ab. Einige Schritte unterhalb der Mulde, unmittelbar am Rand des Tümpels blieb er plötzlich stehen und ging in die Hocke.
    „Siehst du, hier, wo der Bach beginnt, hat er auch schon seine tiefste Stelle“, wandte er sich an Katharina. Sie hatte sich inzwischen zu ihm gesellt und war ebenfalls in der Hocke gegangen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, zog Wolf die Stiefel aus und stieg mitsamt den Beinlingen kurz entschlossen in das kühle Nass hinein, das ihm bis zur Hüfte reichte. Er beugte sich nach unten und begann Kies, Sand und Schlick auf dem Grund vorsichtig beiseitezuräumen, wobei er darauf achtete, so wenig Schmutz wie möglich aufzuwirbeln, um das Wasser nicht allzu sehr zu trüben. In gespannter Erwartung und mit zusammengepressten Lippen sah Katharina ihm dabei zu.
    Plötzlich entfuhr Wolf ein Ausruf der Überraschung. Mit funkelnden Augen sah er zu Katharina hinüber, die erregt aus der Hocke aufsprang.
    „Was ist? Hast du etwas gefunden?“, fragte sie aufgeregt.
    Wolf nickte. „Ich glaube ja. Einen eisernen Haken. Ich glaube, es ist ein eiserner Haken. Oder eine Art Griff“, antwortete er mit heiserer Stimme und mühte sich, durch die aufsteigenden schmutzigbraunen Schleier hindurch den Blick auf den Grund des Wasserlochs zu richten. Gleichzeitig versuchte er, an dem, was er ertastet hatte, zu zerren. Vergeblich. Was immer dort unten auch sein mochte, es ließ sich nicht bewegen.
    „Das Ding steckt zu tief. So bekomme ich es nicht heraus. Wir brauchen irgendetwas zum Graben“, sagte er.
    „Ja, aber was?“, fragte sie.
    „Unten, neben der Hütte, bei der Feuerstelle, da liegt ein Spaten. Außerdem benötige ich das Seil, das an meinem Sattel befestigt ist. Wenn du mir

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