Der Seelenhändler
ein heftiges Zittern; die Vorderläufe knickten ein, und tödlich getroffen kippte der Geweihte langsam zur Seite.
Behände kletterte der Schütze den breiten Stamm hinunter. Mit langen Schritten ging er durch das feuchte, hohe Gras auf das leblose Tier zu. Vor dem gefällten Körper blieb er stehen. Still sah er auf den „König“ hinunter. Er hatte ihn an einer günstigen Stelle zur Strecke gebracht. Der Hirsch lag nicht weit vom Rand der Straße entfernt, die nach Sankt Gallen führte. Er würde einen Wagen kommen lassen, der das mächtige Stück Wild zur Burg brächte. Der Graf würde sich freuen. Einen solch kapitalen Burschen präsentierte ihm sein Waidmann nicht alle Tage.
Gerade hatte der Jäger einen kleinen Zweig von der Eiche gepflückt, um dem Hirsch nach alter Väter Sitte den letzten Bissen ins Gebrech zu stecken – als sein Blick zufällig auf den gegenüberliegenden Rand der schmalen Straße fiel.
Nein, das war einfach nicht möglich! Er musste sich täuschen!
Dort, wo der Rothirsch aus dem Wald getreten war, schien der Fuß eines Mannes aus dem Unterholz zu ragen! Ein Fuß, der in einem Stiefel steckte, wie ihn die Waffenknechte des Burggrafen trugen.
Er hielt den Atem an und sah sich um. Dann brachten ihn einige schnelle Schritte auf die gegenüberliegende Seite des Weges. Kein Zweifel – es war ein Bein. Das Bein eines Toten. Entschlossen räumte er Zweige, Blätter und ein wenig Erde beiseite, unter denen der Rest des Körpers lag – und erstarrte.
Der Tote war Arco, einer der Soldaten des Grafen, den er gut kannte und mit dem er schon so manchen Humpen zusammen geleert hatte. Jetzt starrten die leblosen Augen seines ehemaligen Zechgenossen jedoch durch ihn hindurch ins Leere. Ein Bolzen steckte in seinem Hals. Der leichte Helm, den er getragen hatte, lag neben ihm.
Der Jäger blickte sich abermals um. Der Mund wurde ihm trocken, Panik begann in ihm aufzusteigen. Denn nach und nach gab das Unterholz seinen Blicken die ganze Tragödie preis, die sich hier abgespielt hatte. Voller Entsetzen registrierte er, dass überall Leichen herumlagen. Langsam, wie betäubt, schritt er das Gelände längs der Straße ab. Die Mörder hatten die Körper der Männer ins Unterholz gezerrt und nur oberflächlich mit Ästen, Zweigen und Erde bedeckt. Zehn Tote zählte er insgesamt. Bis auf zwei kannte er alle. Sie waren Waffenknechte im Dienste Friedrichs von Saurau gewesen. Erst vor wenigen Tagen hatte ihm Arco noch anvertraut, dass sie zur Bewachung eines besonders wichtigen Transportes eingesetzt werden sollten. Das also war das Ende ihrer Mission.
Fieberhaft begann er zu überlegen, was er tun sollte.
Nicht allzu weit von hier entfernt befand sich seine Jagdhütte. Mitten im Wald, auf einer kleinen Rodung. Dort hatte er die letzte Nacht verbracht. Und dort wartete auch sein Pferd.
Eigentlich war ihm klar, was zu geschehen hatte. Dennoch zögerte er. Er warf einen bedauernden Blick zu dem Hirsch hinüber, den er mit so viel Geduld zur Strecke gebracht hatte. Aber es half nichts. Er musste vorerst dort bleiben, wo er war. So, wie er war. Vielleicht würde er später zurückkommen, um den Roten aufzubrechen. Oder jemanden mit dem Wagen, der das Tier holen würde, mitschicken, der das an seiner Stelle besorgen konnte.
Das Massaker, das hier stattgefunden hatte, hatte seinen Plan für diesen Tag gründlich durcheinandergebracht.
Diesen Tag würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Wolf von der Klause erreichte die Nachricht im Stift zu Admont. Er saß mit Bertram im Hof der Abtei, nahe dem Brunnen, auf einer Bank.
„Wie steht es mit dem Lernen, Bertram – hilft es dir ein wenig?“, hatte Wolf gefragt und damit indirekt auf die schlimmen Ereignisse Bezug genommen, die sie vor Kurzem durchlebt hatten.
„Das Lernen hilft nur tagsüber, Wolf“, hatte Bertram einsilbig geantwortet und dann leise hinzugefügt: „Ich fürchte mich vor den Nächten.“
Wolf hatte nur verstehend genickt.
Seit jenem furchtbaren Tag, der ihrer beider Leben von Grund auf verändert hatte, waren nunmehr vier Wochen ins Land gegangen. Wieder einmal war Wolf ins Stift geritten, um den Jungen zu besuchen. Und um beim Prior nachzufragen, wie weit denn die Sache mit der Generalvollmacht, auf die er immer noch wartete, nun endlich gediehen wäre.
Er war in den vergangenen Wochen nicht untätig gewesen. Systematisch hatte er eine Reihe von Personen befragt, in der Hoffnung, Hinweise zu erhalten, die ihn auf der Suche
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