Der Seelenhändler
hatten. Die Bilder waren ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Immer wieder war sie in Gedanken zu jenem Ereignis zurückgekehrt, das sie veranlasst hatte, mit den Füßen voran in die Erdhöhle zu kriechen, in der sie seit gestern Vormittag festsaß.
Und dann die rasenden Schmerzen in ihrem Knöchel.
Erst nachmittags hatten sie endlich nachgelassen. Aber nur, weil sie den Fuß immer wieder dick mit der feuchten, kühlen Erde bedeckt hatte, von der es genug in der Höhle gab. Gegen Abend war die Schwellung dann deutlich zurückgegangen, und als sie den Knöchel vorsichtig betastete, hatte sie festgestellt, dass zumindest nichts gebrochen war. Jetzt, mitten in der Nacht, spürte sie weitere Besserung. Noch ein paar Stunden Ruhe und Kühle – und der Fuß wäre vielleicht wieder so weit belastbar, dass sie versuchen konnte, aus dem Erdloch wieder ins Freie zu gelangen. Zwar war das schon für jemand mit zwei gesunden Füßen keine Kleinigkeit, war die Höhle doch recht tief, die Wände steil und feucht. Dennoch: Es stellte kein unüberwindbares Problem dar. Irgendetwas würde ihr schon einfallen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
„Du wirst es schaffen. Du musst es schaffen, Katharina“, murmelte sie beschwörend, und ihr war, als brächte der Klang der eigenen Stimme auch die Zuversicht zurück. Eine Katharina von Klingfurth ließ sich nicht unterkriegen. Keiner, der den Namen Klingfurth trug, ließ sich unterkriegen! Denn wenn es ein Erbe gab, das innerhalb des Geschlechts, dem sie entstammte, von Generation zu Generation weitergegeben wurde, dann war es der ungezähmte Wille zum Sieg.
Und das Bewusstsein, dass es immer einen Ausweg gab.
Sie dachte zurück an ihre Jugendzeit. Auch damals hatte es einen Ausweg gegeben. Als ihre Familie, die über viele Besitztümer verfügte, unverschuldet in Geldnot geraten war. Pernolt von Klingfurth, ihr Vater, hatte vor acht Jahren einen großen Teil seines Besitzes verkaufen müssen. So auch die geliebte Feste Lanzenkirchen mit allem was dazugehörte: Wälder, eine Au, das Fischrecht auf der Leitha, das Dorfgericht zu Lanzenkirchen und so manches mehr.
Für sie, die auf Feste Lanzenkirchen geboren worden war und dort einen großen Teil ihrer Jugend verbracht hatte, war dies ein herber Schlag gewesen. Ihr Vater hatte das sehr wohl bemerkt und sie eines Tages beiseitegenommen und ihr einen Rat gegeben, den sie zeit ihres Lebens nie mehr vergessen sollte.
„Merke dir eins, mein Kind. Nicht das, was man an Äußerlichkeiten vererbt bekommt, ist wichtig. Sondern das Erbe, das man im Innern trägt. Hier, und hier“, hatte er gesagt und dabei mit seiner Hand auf Kopf und Herz gedeutet. „Dies Erbe zu verwalten und es sinnvoll zu mehren, daraus erwächst das wahre Glück.“
Sie hatte schnell begriffen, was er meinte, und sich nicht lange in nutzlosem Wehklagen ergangen. Klein beizugeben und, nach der Art der meisten Frauen ihrer Zeit, ihr Schicksal und ihre Zukunft dem männlichen Geschlecht zu überlassen, war nicht ihre Sache. Entschieden hatte sie ihr Leben selbst in die Hand genommen, um es wieder zu ihren Gunsten zu wenden. Wofür sie zugegebenermaßen auch gut gerüstet war. Zum einen verfügte sie trotz der finanziellen Einbußen, die ihre Familie hatte hinnehmen müssen, noch immer über genügend Mittel, um ein unabhängiges Leben führen zu können. Zum anderen hatte sie, obwohl ein Mädchen, über einige Jahre hinweg eine hervorragende Ausbildung durch erstklassige Lehrer genossen.
Natürlich war dies ungewöhnlich für eine Frau. In einer Welt, in der die Männer das Sagen hatten, war es verpönt, einem Weibe die scharfen Waffen des Geistes an die Hand zu geben.
Katharina kam in den Sinn, was der aus dem Italienischen stammende Moralist Paolo da Certaldo, dieser Schwachkopf, von sich gegeben hatte: ein Mädchen gehöre nicht hinter ein Lesebuch, sondern in die Küche, es sei denn, es wolle Nonne werden. Und von der Sorte Männer, die so dachten, gab es viele. Leider. Hatte nicht schon Aristoteles behauptet, dass Mädchen sich nur aus einem schadhaften Samen entwickeln würden? Selbst der hochgelehrte doctor angelicus , der große Thomas von Aquin, hatte verkündet, jeder Mann müsse eigentlich ausschließlich männliche Kinder zeugen. Lediglich durch widrige Umstände während des Zeugungsaktes würden Mädchen entstehen. Zum Beispiel durch Südwinde, die viel Regen mit sich führen!
„Sie fürchten uns, darum unterdrücken sie uns“, murmelte
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