Der Seelenhändler
Eingang zum Hohlweg, die brennenden Fackeln in den Händen. Mittlerweile war der Schwarze nahe an die Todgeweihten herangetreten. Er hob die Linke wie zum Schwur und begann dann, offenbar einem grausamen Zeremoniell folgend, seinen Spruch aufzusagen. „Als Subprior des Ordens vom Ring bestätige ich hiermit das Urteil unseres ehrwürdigen Gebieters. – Die ausgewählten Brüder mögen hervortreten und ihres Amtes walten, wie die Gerechtigkeit es von ihnen fordert.“
Daraufhin traten vier Männer aus der Gruppe zu den am Boden Liegenden heran, beugten sich zu ihnen hinunter und rollten ihre Körper bis an den Rand des Abgrunds. Dann schauten sie zum Prior hinüber, der die Hinrichtung befehligte.
Langsam hob der die linke Hand, wobei er den Daumen zunächst nach oben gestreckt hielt. Die Hand drehte sich, der Daumen fuhr nach unten. Im gleichen Augenblick gaben die vier den beiden Gebundenen einen letzten Stoß.
Sie schrien nicht einmal, als sie fielen. Der Schlund, in den sie stürzten, erwies ihnen eine letzte Gnade. Kaum waren sie ein paar Klafter tief gefallen, beendete bereits ein aus der Wand herausragender Felsbrocken jäh ihr Leben. Es war der erste Aufschlag. Die vielen weiteren, die folgten, spürten sie nicht mehr. Tief unten, dort, wo noch niemals eines Menschen Fuß den feuchten Fels berührt hatte, nahmen die schäumenden Wasser des Wildbaches ihre Leichen in Empfang.
„So soll jeder sterben, der den Orden verrät. Hütet euch darum vor der Schlange der Untreue. Sollte sie bereits in irgendjemandem von euch nisten, vertreibt sie, auf dass sich ihr tödlicher Biss nicht gegen euch selbst richtet.“ Die pathetischen Worte waren die des Priors, die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich wieder auf ihn und den Abt. Beide standen nach wie vor am Eingang zum Hohlweg.
„Fallt nieder und huldigt dem Gebieter.“ Der Prior fiel auf die Knie; wieder taten die Männer es ihm nach. „Nun lasst uns den Eid der Treue erneuern. Sprecht mir nach …“ Die Rechte wie zum Schwur erhoben, begann er, einige in Latein gehaltene Verse vorzutragen, die die Männer ehrfurchtsvoll nachsprachen: würdevoll klingende lateinische Sätze, deren einzelne Worte sie zwar nicht verstanden, deren Bedeutung man sie jedoch gelehrt hatte. Damals, als sie in den Orden eingetreten waren, hatten sie diese Worte schon einmal gesprochen. Nun führte ihnen ihre Wiederholung angesichts der Hinrichtung, deren Zeuge sie geworden waren, erneut auf grausam nachdrückliche Weise vor Augen, dass sie auf Gedeih und Verderb für den Rest ihres Lebens an die Bruderschaft des Rings gekettet waren, aus deren Würgegriff sie sich lebend niemals wieder würden befreien können.
Die Schwurzeremonie war zu Ende.
„Und nun, die Stirn auf den Boden. Verabschiedet den Gebieter, wie es sich ziemt.“ Zum letzten Mal in dieser Nacht hallte die Stimme des Priors über das Plateau.
Wieder gehorchten die Männer, während Abt und Prior, langsam rückwärts gehend, das Plateau verließen. Nur wenige Schritte entfernt, im Hohlweg selbst, befand sich eine weitere Höhle, deren Zutritt nur den beiden Ordensoberen gestattet war. Eine eisenbeschlagene, mit einem schweren Schloss versehene Tür verhinderte das Betreten des Verstecks durch Unbefugte. Dorthin zogen sie sich nun zurück. Sie wussten, dass keiner der Männer auf dem Plateau es wagen würde, ihnen nachzugehen, denn es war bei Todesstrafe verboten, ihnen in den Hohlweg zu folgen, bevor nicht ein halber Tag vorüber war.
Lange vor Anbruch der Helligkeit verließen zwei unauffällig gekleidete Handelsreisende, auf Maultieren reitend, den Hohlweg. Der Mond leuchtete ihnen. Stunden später langten sie bei einem einsam gelegenen Schuppen an, wo sie Halt machten, um zu rasten und sich etwas zu erfrischen. Dort warteten auch frische Pferde auf sie. Auf ihnen ritten sie weiter, dem heimatlichen Ziel entgegen.
5
Abermals erwachte Katharina von Klingfurth. Noch immer umgab sie stockfinstere Stille. Diesmal jedoch hatte sie das Empfinden, als habe die Dunkelheit um sie herum ihre Bedrohung verloren. Als sie das letzte Mal aus ihrem Dämmern hochgeschreckt war, war das noch anders gewesen. Umfangen von jenem Dunkel, das Verzweiflung gebiert, weil es nicht nur schwer auf den Augen, sondern auch auf der Seele und dem Denkvermögen liegt, war sie regelrecht in Panik geraten, so wie schon mehrere Male zuvor in dieser Nacht.
Der Überfall. Die toten Waffenknechte. Ihre Flucht. Die Männer, die sie verfolgt
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