Der Seelenhändler
dem Unwetter, sondern auch vor den möglichen Blicken Neugieriger, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses auf dem Uferpfad entlangbewegen mochten. Sie mussten vorsichtig sein, denn es waren schlimme Zeiten angebrochen. Die Inquisition war wieder aktiv in dieser Gegend geworden und drohte all denen, die sich nicht zum römischen Glauben bekannten, mit Kerker, Folter und Verbrennung. Daher bedurften ihre Glaubensbrüder in den verstreut liegenden Dörfern und Weilern des Ennstales gerade jetzt zunehmend ihres Rats, ihrer Hilfe und ihrer tröstenden Worte.
Die beiden waren nicht blutsverwandt, dennoch betrachteten sie sich als Brüder. „Bruder“ Heinrich und „Bruder“ Rudlin, so nannten sie sich gegenseitig, während sie von den Gläubigen, denen ihr Dienst galt, ehrenvoll mit „Meister“ angesprochen wurden.
„Die Versammlung morgen Nacht – sie wird im Haus Peter Mohrs stattfinden, nicht wahr?“
Den Kopf in die Rechte gestützt, lag Heinrich auf seinem Lager und sah den neben ihm liegenden Gefährten fragend an.
Rudlin nickte. „Ja, er ist einer der Zuverlässigsten unter den Brüdern.“
„Wird auch Konrad Steckelyn dabei sein?“
Wieder nickte Rudlin. „Mit Frau und Kindern, wie die anderen auch. Die Familie rumort schon seit Tagen in meinem Kopf herum“, seufzte er.
Gedankenversonnen nickte Heinrich. Wenn jemand ein Problem hatte, dann die Steckelyns. Auch sie bekannten sich zu den „Armen Christi“ und wohnten in einem abgelegenen Weiler, der zur Ortschaft Weng gehörte, nur einen Katzensprung von Admont entfernt. Rudlin und Heinrich hatten davon gehört, dass Konrad vor dem Stadtrichter in Rottenmann per Eid eine Aussage bestätigen sollte. Die Verhandlung sollte in einigen Wochen stattfinden.
Damit schwebte jedoch die Gefahr der Preisgabe ihrer Identität wie ein Damoklesschwert sowohl über den Steckelyns als auch dem Rest der Gemeinde. Denn die „Armen Christi“ waren diejenigen, die jegliches Schwören unter allen Umständen, sogar bis in den Tod hinein, kategorisch verweigerten.
„Wenn Konrad nicht schwören will, wird er sich in eine schwierige Lage bringen. Und was dann mit ihm geschieht …“ Heinrich unterbrach sich und zuckte vielsagend mit den Schultern.
Auch ohne dass sein Gefährte den Satz zu Ende brachte, wusste Rudlin, was er meinte. „Damit müssen wir rechnen, das weißt du. Er wäre schließlich nicht der Erste, den sie in die Mangel nehmen, um ihm ein Geständnis abzupressen.“
Heinrich überlegte kurz; dann entschloss er sich, Rudlin einen Vorschlag darzulegen, der ihn insgeheim schon lange beschäftigte.
„Ich glaube, dass man den Stadtrichter durchaus dazu bringen könnte, auf den Schwur zu verzichten“, begann er.
„Ach ja? Welchen Grund sollte es für einen Stadtrichter wohl geben, die Verweigerung eines Eides zu akzeptieren?“
Heinrich richtete sich auf.
„Wie wäre es, wenn Konrad sagen würde, er müsse seine Aussage zurückziehen. Weil man ihn inzwischen damit erpresse, dass, wenn er dabei bleibe, man seiner Frau und den beiden Kindern Übles antun werde.“
Noch hatte er nicht zu Ende gesprochen, als Rudlin vom Lager hochfuhr und zu einer scharfen Erwiderung ansetzte. „Wie stellst du dir das vor! Soll Konrad seinen Kopf etwa mit einer Lüge retten? Willst du unsere Grundsätze verraten?“
„Nein, Bruder Rudlin. Bei allem schuldigen Respekt, aber ich beurteile die Dinge anders. Ich sehe darin keine Lüge – eher eine List. Sagte nicht der Herr selbst, dass wir unschuldig wie Tauben, aber listig wie Schlangen sein sollen? Wir halten uns an das Gebot des Herrn, das uns den Schwur verbietet. Aber wir befinden uns in einem Krieg – dem Krieg des Glaubens. So sagt es der heilige Paulus in seinen Briefen. Und in einem Krieg, Bruder Rudlin, muss es auch erlaubt sein, sich einer List zu bedienen!“
Heinrich hatte sich in einen leidenschaftlichen Eifer hineingeredet. Er glühte förmlich. Wie viele andere unter den Armen, verfügte er über eine ausgezeichnete Kenntnis der Heiligen Schrift.
Rudlin hatte seinem jüngeren Begleiter stirnrunzelnd zugehört.
Danach fiel seine Antwort etwas sanfter aus als zuvor. „Vielleicht hast du Recht, Bruder Heinrich. Ich will mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen lassen.“
„Tu das, Bruder Rudlin. Und verzeih mir meinen Eifer. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Schon gut. Du bist mir nicht zu nahe getreten.“
Das herzhafte Gähnen, das seinen Worten folgte, wirkte
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