Der Seelenhändler
einen herbeieilenden Stallknecht, das Pferd zu versorgen. Dann beschloss er, den Grafen aufzusuchen. Als er die Eingangshalle des Wohntraktes betrat und eben die Treppen hinaufgehen wollte, sah er plötzlich unterhalb der ersten Stufe eine Gürteltasche auf dem Boden liegen. Irgendjemand musste sie dort verloren haben. Er hob die Tasche auf und öffnete sie. Sie enthielt einen Ring, zwei Silberpfennige, Feuerstahl, ein Stück Zunderschwamm und einen abgenutzten Feuerstein. Darüber hinaus bemerkte er ein zusammengefaltetes Stückchen Pergament und eigenartigerweise auch ein wenig feinen, rötlichen Sand, wie er an einer bestimmten Stelle am Ufer der Enns vorkam. Wahrscheinlich war er zufällig hineingeraten, als sich der Besitzer der Tasche einmal dort aufgehalten hatte.
Zuerst betrachtete Wolf den Ring. Es war ein einfacher Siegelring, der ein ihm unbekanntes Motiv aufwies und keinen besonderen Wert besaß. Danach wandte er sich dem Pergament zu. Er faltete es auseinander. Es war beschriftet, enthielt jedoch nur zwei in schneller Handschrift dahingekritzelte Zeilen: Sankt Bartholomä. Schenke ,Zum Bären‘ auf dem Weg nach Rottenmann , stand dort zu lesen. Wolf zuckte mit den Achseln. Er beschloss, die Tasche Lisa zu geben. Lisa führte die Aufsicht über die Mägde und würde sicherlich Sorge dafür tragen, dass die Tasche bald wieder zu ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückfinden würde.
Der Graf erwartete ihn in seiner Studierstube, in die er sich schon frühmorgens, gleich nachdem er die Steyrer verabschiedet hatte, zurückgezogen hatte, um zu arbeiten. Als Wolf eintrat, stand er gerade im Begriff, einige Abrechnungen zur Zehntabgabe durchzusehen, die ausgebreitet vor ihm auf dem Tisch lagen.
„Verzeiht, Graf, wenn ich Euch störe. Aber es gibt da noch etwas, was ich Euch gerne gefragt hätte“, begann Wolf die Unterhaltung.
„Aber ich bitte Euch, Wolf, Ihr stört nicht. Was wollt Ihr denn wissen?“, entgegnete der Saurauer und legte die Feder aus der Hand.
„Ist Euch in den Tagen vor dem Überfall irgendetwas Außergewöhnliches aufgefallen? Ich meine, hier auf der Burg oder unten in Sankt Gallen. Ich bitte Euch, genau nachzudenken, auch Kleinigkeiten könnten wichtig sein“, bat Wolf.
„Etwas Außergewöhnliches? Was meint Ihr mit außergewöhnlich?“ Der Graf runzelte die Stirn.
„Nun, ich meine, ob Ihr oder einer Eurer Bediensteten irgendetwas bemerkt habt, das in letzter Zeit anders war als sonst.“
Der Graf starrte geistesabwesend auf die Pergamente, die vor ihm lagen, und überlegte angestrengt. „Nein“, antwortete er schließlich und schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich wüsste nicht, was in letzter Zeit anders gewesen sein sollte als sonst. Was meine Bediensteten angeht – da fragt Ihr sie am besten selbst.“
Wolf ließ nicht locker. „Verzeiht meine Beharrlichkeit, aber gibt es denn wirklich gar nichts, was Euch wenigstens ein bisschen seltsam vorgekommen wäre?“
Unwillig schüttelte Friedrich den Kopf. „Ihr braucht Euch nicht zu wiederholen. Ich sagte es bereits: Da war nichts, was mir seltsam vorgekommen wäre!“, beschied er unwirsch.
Abrupt erhob sich Wolf. „Ich bitte um Verzeihung, Graf, es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu verärgern“, sagte er kühl. „Doch Ihr werdet verstehen, dass ich allen Möglichkeiten nachgehen muss. Erinnert Ihr Euch noch an das gestrige Gespräch im großen Saal? Wir waren uns einig darin, dass der Überfall nur durch Planung und Voraussicht gelingen konnte. Was bedeutet, dass die Bande genaue Kenntnis davon hatte, wann der Transport die Buchau passieren würde. Habt Ihr schon einmal darüber nachgedacht, wer den Schnapphähnen zugetragen haben könnte, dass die Herren aus Venedig einen Tag früher als geplant hier ankommen werden? Die Botschaft darüber erhieltet Ihr selbst doch verhältnismäßig spät – nämlich gerade einen Tag vorher.“ Während er sprach, war Wolf nahe an den Tisch des Saurauers herangetreten; nun wurde sein Blick hart. „Begreift doch, Graf – nur irgendjemand hier auf der Burg, der in Euren Diensten steht, oder jemand, der regelmäßig auf Gallenstein verkehrt, konnte davon wissen und es den Räubern verraten.“
Der Saurauer war bei den Worten Wolfs kreidebleich geworden. „Glaubt Ihr das tatsächlich? Jemand von meinen Bediensteten? Wer sollte das sein?“
„Wenn Ihr’s nicht wisst, wie sollte ich es wissen? Doch wie Ihr unschwer erkennen könnt, ist es unbedingt notwendig, Augen und Ohren
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