Der Seelenhändler
Katharina, darauf Platz zu nehmen. Dann pochte er dreimal laut gegen den Laden.
Katharina begriff: Das musste das Fenster zum Parlatorium sein, über das die Nonnen mit der Außenwelt verkehrten. Hier hörten sie die geistlichen Ermahnungen, legten an Samstagen die Beichte ab und sprachen mit dem Abt, den Anverwandten oder sonstigen Personen. Mit Letzteren allerdings nur in dringenden Fällen und stets nur in Gegenwart von Zeugen.
Es dauerte nicht lange, bis auf das Klopfen des Cellerars hin das Fenster geöffnet wurde. Katharina erblickte eine alte Nonne, die sie aus großen, blassblauen Augen musterte. Zwei weitere Nonnen, eine junge und eine ältere, hielten sich im hinteren Bereich des Sprechzimmers auf; sie fungierten offenbar als Zeuginnen.
Der Cellerar räusperte sich. „Darf ich vorstellen? Das, wertes Fräulein von Klingfurth, ist Meisterin Euphemia, die Priorin des Klosters. – Meisterin Euphemia, hier seht Ihr Katharina von Klingfurth, die Tochter des Ritters Pernolt von Klingfurth.“
Katharina neigte den Kopf. „Gott zum Gruß, ehrwürdige Meisterin.“
„Der Herr segne Euch, mein Kind“, entgegnete die Nonne mit dunkler Stimme. „Ihr wollt also wissen, was es mit dem Leinen auf sich hat?“, begann sie unvermittelt das Gespräch, wofür ihr Katharina außerordentlich dankbar war. Es half, den Aufenthalt an diesem Ort, dessen düstere Atmosphäre sich wie eine schwere Last auf ihre Brust senkte, etwas zu verkürzen.
„Ja, ehrwürdige Meisterin“, antwortete Katharina. „Wie Euch Vater Basilius sicher schon berichtet hat, geht es um die Aufklärung eines schweren Verbrechens. Das Tuch, das ich gesehen habe, trägt das Zeichen desjenigen, der vielleicht dafür verantwortlich ist. Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, wie es in Euren Besitz kam?“
Mit einem fast entrückt wirkenden Blick ihrer blassblauen Augen sah die Nonne sie an. Dann nickte sie.
„Es ist … zwar schon lange her … aber der Herr hat mir ein gutes Gedächtnis geschenkt … Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern“, fing sie leicht stockend zu erzählen an und fuhr, immer flüssiger werdend, fort: „Es war eine jener hässlichen Novembernächte, in denen man nicht einmal einen Hund hinausjagen würde … Es goss in Strömen und war sehr kalt … Und ein Sturm tobte, wie er schlimmer nicht hätte sein können. Er war so stark, dass er zwei der großen Birken entwurzelte. Eine von ihnen fiel auf einen brüchigen Teil der Außenmauer und schlug krachend eine Bresche in sie hinein. Uns war, als habe das Jüngste Gericht begonnen … Einige Stunden danach, lange bevor der Morgen graute, pochte jemand heftig an meine Zellentür. Es war Schwester Isidora. Sie befand sich in heller Aufregung. Sie habe einer jungen Frau Einlass gewährt, die auf einem Esel gekommen sei und einen Säugling dabei habe, sagte sie. Die Frau sei in ihrer Verzweiflung durch die Bresche in der Mauer eingestiegen und habe immerfort mit einem Stein an eine der Türen geklopft. Als Isidora auf das Klopfen hin aus dem Fenster des Dormitoriums sah, in dem sie mit den übrigen Schwestern, wachend und betend wegen des Unwetters, die Nacht verbrachte, nahm sie die Frau wahr. Den schreienden Säugling auf dem Arm, bat diese im Namen sämtlicher Heiligen um barmherzige Aufnahme. Also eilte Isidora mit einigen Schwestern die Treppe hinunter, um der Frau zu öffnen. Sie brachten sie und das Kind in den Wirtschaftstrakt. Nachdem Isidora mich informiert hatte, bin ich ebenfalls dorthin geeilt. Die Schwestern kümmerten sich bereits um die Fremde und den Säugling … Es war übrigens ein Knabe, erst wenige Monate alt. Ich half mit, ihn zu baden. Wir setzten ihn in einen kleinen Zuber mit warmem Wasser. Ich erinnere mich noch daran, wie das Kind vor Kälte zitterte und weinte.“ Die Meisterin schwieg.
„Wer war die Frau? Wie sah sie aus? Konntet Ihr ihren Namen in Erfahrung bringen?“, wollte Katharina wissen.
„Nun … eigentlich hätte man die Frau als außergewöhnlich schön bezeichnen können. Gott hatte sie mit vielen äußeren Vorzügen gesegnet. Aber er hatte ihr auch einen Dorn ins Fleisch gegeben. Sie war auf einem Auge blind. Es war trüb und das Lid darüber hing herunter. Natürlich habe ich sie nach ihrem Namen gefragt und wollte wissen, woher sie kommt. Und was, um Himmels willen, sie bewog, in dieser scheußlichen Nacht draußen umherzuirren. Sie gab zur Antwort, dass sie Tänzerin sei und zur Gauklertruppe um ,Rufus, den Riesen‘
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