Der Seelenhändler
gehöre. Sie nannte auch ihren Namen, doch den habe ich vergessen. Sie habe sich vorübergehend von der Truppe getrennt, um Verwandte aufzusuchen, erzählte sie mir. Eigentlich habe sie damit gerechnet, ihr Ziel noch vor der Dunkelheit erreichen zu können. Doch sie habe sich in der Entfernung getäuscht. Zu allem Unglück sei sie auch noch von Wegelagerern überfallen worden, die ihr das bisschen Geld, das sie bei sich trug, geraubt hätten. Dann seien sie und ihr kleiner Sohn von der Dunkelheit und dem Wetter überrascht worden. Nachdem sie kein Geld hatte, um eine Übernachtung in einer Herberge zu bezahlen, habe sie an mehrere Behausungen geklopft, aber niemand habe ihr geöffnet. Schließlich sei sie in ihrer Angst durch die Bresche, die der entwurzelte Baum in die Mauer schlug, in unser Kloster eingestiegen.“
Wieder schwieg die Priorin für einige Augenblicke.
Katharina nutzte dies, um abermals eine Frage zu stellen. „Hattet Ihr den Eindruck, ihr trauen zu können?“
„Ihr meint, ob sie die Wahrheit sagte? Nun, welchen Grund sollte sie gehabt haben, diese zu verschweigen?“, antwortete Euphemia mit einer Gegenfrage.
„Ich weiß nicht“, sagte Katharina nachdenklich. „Hätte sie nicht jemand ganz anderer sein können?“
„Nein. Sie war die, als die sie sich ausgab.“
„Was macht Euch so sicher?“
„Nun, einige Tage danach erhielten wir einen Neuzugang, eine Novizin namens Afra, die mir erzählte, dass sie mir einen Gruß ausrichten solle. Von einer jungen Frau, die Mitglied einer Gauklertruppe sei. Diese wäre ihr auf dem Weg hierher begegnet und mit ihr ins Gespräch gekommen. Und als sie erfahren hätte, welches Ziel Afra hatte, habe sie ihr den Gruß an mich aufgetragen.“
„Das heißt, nachdem die Frau mit dem Knaben die Nacht im Kloster verbracht hatte, zog sie weiter?“, fragte Katharina.
„Ja. Zu ihren Verwandten“, antwortete die Vorsteherin.
„Wer waren ihre Verwandten? Was wollte sie dort?“
„Das weiß ich nicht. Ich hielt es nicht für wichtig, sie danach zu fragen. Wir sind hier ausschließlich um den Dienst am Herrn besorgt. Die Not dieser Frau in jener außergewöhnlichen Nacht machte es erforderlich, dass wir dem Gebot der Barmherzigkeit Folge leisteten. Wir sprachen mit ihr, weil die Umstände es erforderten. Entgegen unseren üblichen Gepflogenheiten. Ihr wisst, dass unser Gelübde von uns verlangt, den Dingen dieser Welt zu entsagen. Dazu gehört auch, den Kontakt mit der Welt auf ein Minimum zu beschränken. Selbst mit unseren engsten Angehörigen sprechen wir nur selten. Und mit Fremden nur dann, wenn es unumgänglich und zwingend notwendig ist.“
„Verzeiht, ehrwürdige Meisterin, daran hatte ich nicht gedacht“, entschuldigte sich die Klingfurtherin. „Wenn Ihr mir nun noch sagen würdet, was die Ereignisse jener Nacht mit der rätselvollen Decke zu tun haben, wäre ich Euch zu großem Dank verpflichtet.“
Die Vorsteherin blickte sie erstaunt an. „Hatte ich nicht schon erwähnt, dass es das Leinen war, in das die Mutter den Kleinen gewickelt hatte?“
Katharina horchte auf. „Nein, ehrwürdige Priorin, das hattet Ihr nicht. Der Säugling war also in diese Decke gewickelt?“
„Ja, das Leinen war völlig nass und schmutzig. Eine der Schwestern wollte es waschen und über Nacht trocknen. Doch sie vergaß es. Früh am nächsten Morgen gaben wir der Frau eine andere Decke
– eine aus Wolle, trocken und sauber. Das Leinen behielten wir.“
Katharina nickte. „Jetzt verstehe ich. Habt Ihr in jener Nacht sonst noch etwas Auffälliges bemerkt? Insbesondere was die Frau angeht oder das Kind?“
Die Nonne senkte den Blick. Angestrengt dachte sie nach. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Da war sonst nichts, was es zu erwähnen gälte. Wie die Frau aussah, habe ich Euch bereits beschrieben. Was den Knaben angeht …“, sie machte eine Pause, „… es war eben ein Säugling … wie Tausend andere auch … ein kleiner Schreihals mit einer mächtigen Stimme“ – die Andeutung eines Lächelns huschte über das Gesicht der Meisterin –, „ansonsten … Halt! … Da war doch etwas!“
Die Nonne hatte plötzlich die Hand erhoben, und ein leichter Glanz trat plötzlich in ihre Augen. So, als empfände sie Genugtuung über die Tatsache, dass ihr Gedächtnis sie nicht im Stich ließ. Obwohl seit jener Nacht viele Jahre ins Land gegangen waren.
„Ja … jetzt fällt es mir wieder ein“, fuhr sie fort. „Der Knabe hatte ein Mal … Ich erinnere
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