Der Seelenleser
erstarrte, sein Gesicht wurde zu einer Maske. » Was ist passiert?«, fragte er. Sein Gesichtsausdruck und sein Tonfall ungerührt.
» Du warst nicht klug genug«, sagte Elise.
» Wie bitte?«
» Du hast dich übernommen– du hast versagt, und du wirst nie wissen, warum.« Sie genoss seine verwunderte Miene. » Das ist eine Schande, nicht wahr? Sich in seiner eigenen Intrige zu verirren?«
» Intrige?« Wie ein tollwütiger Hund schnappte er nach dem Wort. » Wobei versagt? Was zum Teufel glaubst du zu wissen? Was du sagst, ergibt keinen Sinn.«
» Oh doch«, sagte sie. » Du verstehst es bloß nicht.«
In ihr war ein vernichtender Zorn erwacht, von dem sie nicht gewusst hatte, dass er in ihr geruht hatte. Sie bemerkte, dass Kroll seinen perplexen Gesichtsausdruck nicht mehr kontrollieren konnte.
Was auch immer gerade passierte, Kroll bemühte sich hektisch, dahinterzukommen. Plötzlich beherrschte er die Situation nicht mehr, und es war für ihn mehr als unangenehm, verwirrt und hilflos zu sein, zumal er sich gegenüber Elise und Lore als Mann dargestellt hatte, der alles wusste.
» Der verdammte Glasvogel«, sagte er und starrte sie an.
Sie hasste ihn dafür, dass er es sagte und die alte Wunde wieder aufriss.
» Du bist echt ein Versager, Ray«, stachelte sie ihn auf. Das war für sie etwas ganz Neues: das Verlangen danach, jemandem seelischen Schmerz zuzufügen. Sie selbst hatte im Verlauf der Jahre so viel davon absorbiert, von so vielen Leuten aus so vielen Gründen Schmerz zugefügt bekommen, dass es für sie beschämend berauschend war, einmal auf der anderen Seite der Seelenpein zu sein.
» Dieser eine Vorfall…«, fing er seinen Satz nur an. » Was auch immer das war, was auch immer es für dich bedeutet haben mag: Nur diese eine Sache, und du machst Schluss?« Dann, fast im Flüsterton: » Das muss dann ja wohl ein Volltreffer gewesen sein.«
Sie wollte herausbrüllen, was sie wusste. Sie sehnte sich danach, es zu tun, um den Schock auf seinem Gesicht zu sehen, um ihn gänzlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aber es stand zu viel auf dem Spiel, sie konnte nicht riskieren, Fanes Plan zunichtezumachen– falls sie das, um Gottes willen, nicht schon gemacht hatte.
» So lange ich dich jetzt schon kenne, Ray«, sagte sie und hielt ihre Stimme ruhig und emotionslos, » warst du immer in der Lage, mich zu durchschauen, zu › sehen‹, was ich denke, und zu wissen, warum ich es denke. An deinem erstaunlichen Verständnis war… nicht zu rütteln.«
Sie hielt kurz inne und zog die Augenbrauen hoch, als ob sie sagen wollte: Stimmt’s? Habe ich nicht recht? » Warum verlässt du dich denn jetzt nicht auf dein erstaunliches Talent als Frauenversteher, um das zu begreifen, was du anscheinend gerade nicht begreifst?«
Sie konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er wusste, dass sie ihn verhöhnte. Und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es ihn gerade innerlich zerriss. Sie konnte sich vorstellen, dass er seine gesamte Willensstärke aufbringen musste, um sein unnachgiebiges Auftreten beizubehalten.
Sie maßen einander schweigend. Der Trubel der wimmelnden Eingangshalle war eine ganze Welt entfernt. Es war, als ob jemand den Ton abgestellt hätte und alles um sie herum verschwommen wäre. Das Einzige, was sie in diesem Augenblick wussten, war all das, was zwischen ihnen geschehen war, was sie zusammengebracht hatte und sie jetzt trennte.
» Du machst einen Fehler«, sagte er.
Er stand auf, blickte sie mit leeren Augen an und ging fort.
Libby folgte Kroll aus der Eingangstür des Hotels hinaus, wo zum Glück gerade eine Gruppe von Freunden in einen Range Rover kletterte, der unter dem Eingangsportikus stand. Kroll sprach einen Pagen an, der ein Taxi herbeiwinkte.
Das Taxi bremste hinter dem Range Rover, dessen Fahrgäste miteinander diskutierten, wohin sie fahren wollten, um noch ein spätes Abendessen zu bekommen, und sich viel Zeit mit dem Einsteigen ließen. Kroll ging zu seinem Taxi, dicht gefolgt von zwei Geschäftsleuten, die zu einem zweiten Taxi wollten, das hinter Krolls wartete. Libby ging direkt hinter den Geschäftsleuten und zwängte sich zwischen den beiden Taxis durch.
In dem Moment, als Kroll einstieg, ließ Libby ihre Autoschlüssel fallen. Als sie sich bückte, um sie aufzuheben, rammte sie einen GPS -Sender unter die Stoßstange und ging dann in Richtung California Street.
» Er ist im Taxi und verwanzt«, sagte sie in ihr Mikrofon.
Roma und Lore befanden sich in
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