Der Seelenleser
warum. Damit wir nicht erst noch die Taktik erklären müssen. Unsere Truppe arbeitet schon seit einiger Zeit zusammen, daher reichen meist wenige Worte.«
Elise schielte zu Vera hinüber.
» Ich kann Ihre Sorgen verstehen«, sagte Fane zu beiden. Dann wandte er sich an Elise. » Es könnte für Sie ziemlich scheußlich werden. Aber denken Sie einfach immer daran: Die wenigen Leute, die Ihren Auftritt dort mitbekommen, sind gar nichts im Vergleich zu dem, was geschehen könnte, wenn wir diesen Kerl nicht aufhalten. Es ist ein ziemlich guter Kompromiss, wenn man es so bedenkt.«
Elise nickte. » Das verstehe ich.«
» Falls Kroll Sie anruft, stellen Sie das Telefon auf Lautsprecher. Dann können wir beide Seiten des Gesprächs mithören.«
» Er merkt es, wenn ich ihn auf Lautsprecher habe. Es wird ihn argwöhnisch machen.«
» Wenn er irgendetwas deswegen sagt, denken Sie sich eine Ausrede aus. Es ist ganz wichtig, dass auch wir ihn hören können. Sie bekommen das schon hin. Wir müssen uns darauf verlassen können.«
Roma schaltete sich ein. » Haben Sie sich schon entschieden, was Sie zu ihm sagen werden, welchen Ansatz Sie für die Unterhaltung benutzen wollen?«
Elise schüttelte den Kopf. » Ich bin mir nicht sicher…«
» Behalten Sie einfach eines im Hinterkopf«, sagte Roma und ging zu Elise hinüber, die neben Lore auf dem Sofa saß. » Wir müssen Kroll folgen können, um herauszufinden, wo er wohnt. Aber wenn wir die Dateien dort nicht finden, wartet noch mehr Arbeit auf uns. Sorgen Sie dafür, dass er an Ihnen interessiert bleibt, brechen Sie noch nicht alle Brücken hinter sich ab.«
» Ja, das habe ich verstanden«, nickte Elise.
Er hatte sich auf sein Sofa sinken lassen und schaute dem Regen zu, wie er gegen die gläserne Wand prasselte, die zum China Beach hinaus zeigte. Er fühlte sich seltsam euphorisch, doch auch das konnte den Anflug von Unbehagen nicht ganz wegwischen. Die Unterhaltung mit Elise war ganz anders verlaufen, als er gedacht hatte. Veras Protokoll hatte ihn zu der Erwartung geführt, dass sie labil und verwundbar sein würde. Denn das war im Wesentlichen die Zusammenfassung von Veras Einschätzung gewesen. Aber die Frau, mit der er gerade geredet hatte, wirkte nicht besonders empfänglich für Selbstzerstörung, sie war nicht niedergeschlagen. Fassungslos, ja– aber kein emotionaler Trümmerhaufen, wie er gehofft hatte.
Wirkte sie verwirrt? Ja, doch zu Beginn ihrer Unterhaltung war sie auch streitlustig und herausfordernd gewesen. Das war dann der Verwirrung gewichen. Was war mit ihr los, was ging in ihr vor? Sie wollte nicht mit ihm alleine sein– das war eindeutig Furcht. Er hatte einkalkuliert, dass sie durch das, was bei ihrem letzten Treffen geschehen war, verstimmt war, dass sie sich über sein Geschenk geärgert hatte, aber er hatte nicht erwartet, dass sich auch Furcht untermischte. Und was er heute Abend gehört hatte, war eindeutig Furcht gewesen.
Wie war es bloß dazu gekommen? Er musste zugeben, dass er diese Entwicklung noch nicht einmal am Rand seines Radarschirms gehabt hatte. Sie traf ihn völlig unvorbereitet, als sei er ein einfacher Amateur, als hätte er die ganze Angelegenheit nicht durchgeplant. Warum hatte er diese Entwicklung nicht kommen sehen?
Der Regen prallte jetzt beinahe waagerecht gegen die Glasscheibe. Er konnte nicht mehr nach draußen sehen, nicht einmal die weit entfernten und vom Regen gedämpften Lichter der Bucht konnten den Regenvorhang durchdringen, der sich wie eine dicke Schicht durchsichtiger Schmiere auf die Scheibe gelegt hatte.
Roboterhaft drückte er auf die Taste seines Aufzeichnungsgeräts, mit dem er das Gespräch mitgeschnitten hatte, und spielte sich Bruchstücke seines Gesprächs mit Elise noch einmal vor.
…kleine Nischen…, wo wir miteinander reden können…
…auch andere Leute… Ich vertraue mir… nicht… mit dir.
Ich vertraue mir… nicht… mit dir.
…Ich vertraue… nicht… mit dir.
…Ich vertraue… nicht… dir.
Ihm war heiß. Er schwitzte. Aus jeder Pore schien es zu tropfen. Er drückte erneut auf die Wiedergabetaste, und diesmal hatte er Elises Stimme auf so langsam gestellt, dass er die einzelnen Silben unterscheiden konnte. Plötzlich war er in ihren Worten, den Phrasen, den Sätzen, den Ellipsen. Er betrachtete, berührte, schmeckte sie, er ließ ihren Geruch und ihre Nebengeräusche auf sich wirken, während er die Struktur ihrer Bedeutung untersuchte.
Als er wieder zu sich selbst
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