Der Seelensammler
Er ist
verheiratet.«
Sandra ließ seine Worte auf sich wirken. »Manchmal lassen sich
bestimmte Reaktionen auch provozieren«, sagte sie geistesgegenwärtig.
Camusso war neugierig geworden: »Wie wollen Sie das anstellen?«
»Erst einmal muss ich ein paar Fotos ausdrucken.«
In den Fluren der Fakultät für Architektur herrschte reger
Betrieb. Sandra hatte es schon immer erstaunlich gefunden, dass Studenten je
nach ihrer Fachrichtung Ähnlichkeiten entwickelten. Fast so, als verfügten sie
über einen gemeinsamen genetischen Code: Jurastudenten zum Beispiel waren
undiszipliniert, aber ehrgeizig. Medizinstudenten fleißig und humorlos. Philosophiestudenten
melancholisch und in viel zu weite Kleider gehüllt. Architekten dagegen
ungekämmte Tagträumer.
Sie hatte sich vom Pförtner sagen lassen, wie man zu Christian
Lorieris Büro kam. Jetzt suchte sie nach dem Türschild mit seinem Namen. Auf
dem Präsidium hatte sie die auf ihrem Handy gespeicherten Fotos ausgedruckt:
Schnappschüsse von Jeremiahs Villa, aber auch die Bilder von Davids
Leica-Fotos, die sie zum Glück im Bad des Interpol-Gästehauses abfotografiert
hatte, Fotos von Laras Wohnung, vor allem aber Aufnahmen aus der Kapelle des
heiligen Raimund von Peñafort. Dabei hatte sie sie schon löschen wollen, weil
sie dachte, sie hätte keine Verwendung mehr dafür! Doch jetzt konnte sie sie
gut gebrauchen.
Die Tür zum Büro des Kunstgeschichtsdozenten stand offen. Lorieri
hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und las in einer Zeitschrift. Er war
wirklich so gut aussehend wie in dem Video. Ein cooler Mittvierziger, der die
Studentinnen verrückt machte. Die All Stars an seinen Füßen sagten alles. Sie
symbolisierten die friedliche Revolution.
Sandra setzte ein Lächeln auf und klopfte.
Der Dozent riss sich von seiner Lektüre los. »Die Prüfung wurde auf
nächste Woche verschoben.«
Sie setzte sich unaufgefordert, was durch die lockere Atmosphäre in
diesem Büro begünstigt wurde. »Ich bin nicht wegen einer Prüfung hier.«
»Wenn Sie in meine Sprechstunde wollen: Die findet nur an ungeraden
Tagen statt.«
»Ich bin auch keine Studentin«, sagte sie und zückte ihren
Dienstausweis. »Sandra Vega, Polizei.«
Lorieri wirkte nicht weiter überrascht, beugte sich aber auch nicht
vor, um ihr die Hand zu geben. Seine einzige Höflichkeitsgeste bestand darin,
die Füße vom Tisch zu nehmen. »In so einem Fall sagt man wohl am besten: ›Was
kann ich für Sie tun?‹« Er lächelte und versuchte, sie auf diese Weise für sich
einzunehmen.
Sandra reagierte allergisch auf seinen Charme, denn er erinnerte sie
an Schalber. Der arme Dozent konnte ja nicht ahnen, wie sehr das seine
Ausgangsposition verschlechterte. »Ich ermittle in einem Fall und brauche Hilfe
von einem Kunsthistoriker. Sie wurden mir empfohlen.«
Christian Lorieri stützte verblüfft die Ellbogen auf. »Wahnsinn!
Worum geht es denn? Stand etwas darüber in der Zeitung?«
»Das ist streng vertraulich«, sagte Sandra mit einem Augenzwinkern.
»Verstehe«, erwiderte er. »Ich stehe Ihnen voll und ganz zur
Verfügung.« Er lächelte sie erneut an.
Wenn du das noch einmal machst, zücke ich die Pistole!, dachte
Sandra. »Bitte schauen Sie sich diese Bilder mal an! Erkennen Sie den Ort
wieder?« Sie zeigte ihm die Fotos von der Kapelle des heiligen Raimund von
Peñafort. »Wir haben die Bilder bei einem Verdächtigen gefunden und wissen
nicht, wo sie aufgenommen wurden.«
Lorieri setzte sich eine Brille auf und musterte die Fotos. Er nahm
eines nach dem anderen und hielt sie vor sich hin. »Da sind Grabmäler drauf, es
handelt sich also höchstwahrscheinlich um eine Kapelle. Wahrscheinlich in einer
Kirche.«
Sandra beobachtete ihn abwartend.
»Der Stil ist nicht einheitlich – schwer zu sagen, wo das sein
könnte.« Er hatte sich mehr als zehn Fotos angesehen, als ihm das erste von
Laras Wohnung unterkam. »Da ist auch eines dabei, das nichts mit den anderen …«
Er verstummte. Als er das zweite und dritte sah, erstarb sein Lächeln. »Was
wollen Sie von mir?« Während er das sagte, hatte er nicht den Mut, sie anzusehen.
»Sie waren schon einmal in dieser Wohnung, nicht wahr?«
Der Mann legte die Fotos beiseite, verschränkte die Arme vor der
Brust und ging in die Defensive. »Nur ein-, zweimal.«
»Sagen wir, dreimal und belassen es dabei, einverstanden?«,
provozierte ihn Sandra.
Lorieri nickte.
»Waren Sie auch an dem Abend dort, an dem Lara verschwand?«
»Nein, an
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