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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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diesem Abend nicht!«, sagte er aufgebracht. »Ich hatte sie
schon Wochen zuvor abgehakt.«
    »Abgehakt?«, fragte Sandra schockiert.«
    »Na ja, Sie wissen schon: Ich bin verheiratet.«
    »Sagen Sie das, um mich oder sich selbst daran zu erinnern?«
    Der Dozent stand auf und trat an das Fenster mit den heruntergelassenen
Rollos. Er fuhr sich mit einer Hand nervös über den Kopf und hatte die andere
eng an den Körper gezogen. »Als ich erfuhr, dass sie verschwunden ist, wollte
ich sofort zur Polizei gehen. Aber dann habe ich an all die Fragen gedacht, die
man mir und meiner Frau stellen würde. Auch dem Rektor der Uni – und dann hätte
ich die Sache nicht länger geheim halten können. Für meine Karriere und für
meine Familie wäre das eine Tragödie gewesen. Ich dachte, es wäre nur so eine
Flause von Lara. Ein Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen. Ich war mir sicher,
dass sie wieder auftauchen würde.«
    »Haben Sie nie an eine Verzweiflungstat gedacht? Sie haben
schließlich mit ihr Schluss gemacht.«
    Lorieri kehrte ihr den Rücken zu. »Natürlich!«, gab er zu.
    »Inzwischen ist fast ein Monat vergangen, und Sie haben nichts
gesagt.« Sandra betonte jedes Wort einzeln, um zu zeigen, wie sehr sie das
anwiderte.
    Der Dozent sah sich in die Enge getrieben. »Ich habe angeboten, ihr
zu helfen.«
    »Bei einer Abtreibung?«
    Lorieri merkte, dass er in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. »Was
hätte ich denn sonst tun sollen? Das war doch bloß ein Abenteuer, und Lara
wusste das. Wir sind nie zusammen ausgegangen, haben nie telefoniert. Ich hatte
nicht mal ihre Nummer.«
    »Da das Mädchen verschwunden ist und Sie geschwiegen haben, haben
Sie sich eines Mordes verdächtig gemacht.«
    »Mord? Warum denn das?« Er war außer sich. »Wurde ihre Leiche
gefunden?«
    »Das ist gar nicht notwendig. Sie haben ein Motiv. Manchmal genügt
das schon, um jemanden vor Gericht zu bringen.«
    »Scheiße, ich hab niemanden umgebracht!« Er stand kurz davor, in
Tränen auszubrechen.
    Seltsamerweise empfand Sandra Mitleid für ihn. Früher hätte sie sich
strikt an ihre Polizeiausbildung gehalten: Trau niemandem! Aber sie glaubte dem
Dozenten. Nicht er, sondern Jeremiah Smith hatte Lara entführt. Die Art, wie er
sie aus der Wohnung geschafft hatte, war viel zu kompliziert. Hätte Lorieri sie
töten wollen, hätte er sie an einen abgeschiedenen Ort locken können. Lara wäre
mit Sicherheit gekommen. Und hätte er sie im Affekt umgebracht, beispielsweise
bei einem Streit in ihrer Wohnung, wären Spuren zurückgeblieben.
    Der Tod steckt im Detail!, rief sie sich ins Gedächtnis. Aber noch
wies nichts darauf hin, dass Lara tot war.
    »Beruhigen Sie sich bitte, und setzen Sie sich!«
    Der Mann sah Sandra mit glänzenden roten Augen an. »Gut, ich
beruhige mich.« Er nahm Platz und zog die Nase hoch.
    Sandra hatte gute Gründe, den Ehebrecher zu bemitleiden. Ich bin
auch nicht anders. Ich bin auch eine Betrügerin, dachte sie beim Gedanken an
die grauenhafte smaragdgrüne Krawatte.
    Aber sie hatte nicht vor, sich Lorieri anzuvertrauen.
    Stattdessen sagte sie: »Lara wollte Sie nicht vor vollendete
Tatsachen stellen. Sie hat Ihnen gesagt, dass sie schwanger ist, um Ihnen eine
Chance zu geben. Sollte sie noch am Leben sein und zurückkehren, hören Sie sie
bitte an!«
    Der Mann brachte kein Wort hervor. Sandra dagegen sammelte eilig die
Fotos ein, denn sie wollte jetzt nur noch weg. Sie war gerade dabei, sie zu den
anderen in ihrer Tasche zu stecken, als sie ihr entglitten. Sämtliche Fotos verteilten
sich überall auf dem Boden, und der Dozent bückte sich, um ihr beim Aufheben zu
helfen.
    »Ich mach das schon!«, sagte Sandra hastig. Sie bemerkte, dass auch
der Schnappschuss von dem Priester mit der Narbe an der Schläfe dabei war.
    »Der Pönitenziar.«
    Sie drehte sich zu Lorieri um und fragte sich, ob sie soeben richtig
gehört hatte. »Sie kennen diesen Mann?«, sagte sie und zeigte auf den Priester.
    »Wer das ist, weiß ich, ehrlich gesagt, nicht … Ich meinte den
hier.« Er hob ein Foto auf und reichte es ihr. »Der heilige Raimund von Peñafort.
Interessiert Sie die Kapelle wirklich, oder war das nur ein Vorwand?«
    Sandra warf einen Blick auf das Bild: Sie hatte das Gemälde über dem
Altar fotografiert, das einen Dominikanermönch zeigte. »Erzählen Sie weiter.«
    »Nun, viel gibt es nicht dazu zu sagen: Das Bild stammt aus dem
siebzehnten Jahrhundert. Es befindet sich in der Basilika Santa Maria sopra
Minerva.«
    »Nein,

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