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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Erstes fiel ihm auf, dass die Häuser der
Nachbarn weit entfernt lagen. Das Grundstück war von hohen Kiefern umgeben und
somit nicht einsehbar. Ein ideales Versteck. Er nahm den Kiesweg zu dem
Wellblechschuppen. Seine Füße versanken in den feuchten Steinchen, die der Regen
zum Tanzen brachte. Wind schlug Marcus entgegen, so als wollten ihn dunkle
Mächte überzeugen, nicht weiterzugehen. Aber er erreichte sein Ziel. Die Tür
war mit einem Sicherheitsschloss versehen.
    Marcus sah sich um und fand, was er brauchte: eine Eisenstange, die
in der Erde steckte und einen Rasensprenger trug. Er legte das Babyfon weg,
packte die Stange mit beiden Händen und zog sie energisch aus dem Boden. Dann
kehrte er zu dem Vorhängeschloss zurück und begann ebenso wild entschlossen wie
wütend, daran zu rütteln. Schließlich gewann er die Oberhand: Der Eisenring
brach, und die Tür öffnete sich wenige Zentimeter. Marcus fackelte nicht lange,
sondern riss sie weit auf.
    Trübes Tageslicht erhellte die wenigen Quadratmeter. Er sah Gerümpel
und eine Elektroheizung. Das zweite Babyfon stand neben einer Matratze auf dem
Boden. Darauf lag ein Lumpenbündel … das sich jedoch bewegte.
    »Lara …«, rief Marcus und wartete auf eine Antwort, die nicht kam.
»Lara?«, wiederholte er lauter.
    »Ja«, sagte eine ungläubige Stimme.
    Marcus eilte zu ihr. Sie hatte sich unter den alten Decken
zusammengerollt. Sie war schwer mitgenommen, schmutzig, aber noch am Leben.
»Keine Angst, ich bin deinetwegen hier.«
    »Bitte, hilf mir!«, flehte sie weinend, ohne zu realisieren, dass er
es bereits tat.
    Ein Satz, den sie auch noch wiederholte, als Marcus sie hochhob, mit
ihr in den Regen hinaustrat und das kurze Stück über den Kies lief. Im Haus
angekommen, hielt Marcus inne.
    Im Flur stand eine tropfnasse Camilla Rocca, den Schlüsselbund und
die Einkaufstüten noch in der Hand. Die Sozialarbeiterin war wie gelähmt. »Er
hat sie für mich entführt, mir gesagt, dass ich ihr Kind haben kann …«
    Marcus begriff, dass sie Jeremiah Smith meinte.
    Die Frau musterte Lara und ihn. »Sie hat es nicht gewollt.«
    Böses gebiert Böses, hatte Jeremiah
gesagt. Camilla hatte großes Unrecht erlitten. Und das hatte sie zu dem
gemacht, was sie jetzt war. Sie hatte das Geschenk eines Monsters angenommen.
Jetzt verstand Marcus auch, warum es der Frau gelungen war, ihn zu täuschen:
Sie hatte eine Parallelwelt erschaffen, die für sie ganz real war. Sie war
aufrichtig, machte ihm nichts vor.
    Er ging mit Lara in seinen Armen an ihr vorbei. Er nahm ihr die
Schlüssel des Kleinwagens aus der Hand, anonsten ignorierte er sie.
    Camilla sah hilflos zu und brach dann zusammen. Flüsternd führte sie
Selbstgespräche, wiederholte unablässig einen einzigen Satz: »Sie hat es nicht
gewollt …«

22 Uhr 56
    Ispettore De Michelis steckte Kleingeld in einen Kaffeeautomaten.
Sandra war regelrecht hypnotisiert von der Pedanterie, die er dabei an den Tag
legte. Nie hätte sie gedacht, schon so bald wieder in der Gemelli-Poliklinik zu
sein.
    Vor etwa einer Stunde hatte sie Camussos Anruf erhalten. Sie hatte
gerade gepackt und wollte anschließend zusammen mit ihrem Vorgesetzten den Zug
nach Mailand nehmen. Erst hatte sie geglaubt, der Commissario hätte Neuigkeiten
über Schalber. Aber nachdem er ihr versichert hatte, dass er sich bereits darum
kümmere, hatte er ihr von der neuesten Wendung im Fall Jeremiah Smith
berichtet. Gleich darauf war sie mit De Michelis zum Krankenhaus gefahren, um
sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen.
    Lara lebte.
    Die Umstände, unter denen sie gefunden worden war, waren reichlich
mysteriös. Die Studentin hatte in einem Kleinwagen gesessen, den jemand auf dem
Parkplatz eines Einkaufszentrums vor den Toren Roms abgestellt hatte. Ein
anonymer Anrufer hatte der Polizei diesen Tipp gegeben. Noch waren die
Informationen lückenhaft und nicht über die Notaufnahme hinausgelangt, wo Lara
gerade untersucht wurde.
    Sandra wusste nur, dass Commissario Camusso mit ein paar Kollegen
nach Ostia gefahren war, um eine Verhaftung vorzunehmen. Lara hatte sie auf
diese Spur gebracht, aber auch die Fahrzeugpapiere des verdächtigen Autos.
Sandra fragte sich, wie Jeremiah Smith in diese Sache verwickelt war.
Gleichzeitig war sie sich sicher, dass Marcus den Fall gelöst hatte.
    Er muss es gewesen sein!, sagte sie sich immer wieder. Bestimmt
hatte das Mädchen etwas von einem geheimnisvollen Retter mit einer Narbe an der
Schläfe erzählt. Ob es den

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