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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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waren.«
    Marcus musste sofort an die Nachricht an Camillas Kühlschrank
denken, die mit dem Magneten in Krebsgestalt befestigt war.
    Wir sehen uns in zehn Tagen. Ich liebe dich.
    Womöglich hing sie schon sehr lange dort. Aber das war nicht das
Einzige, was ihn verstörte. »Ich muss jetzt gehen!«, sagte er zu Martini. Und
noch bevor sich der Mann bei ihm bedanken konnte, drehte er sich um und bahnte
sich erneut einen Weg durch den Regenvorhang.
    Er brauchte beinahe zwei Stunden bis Ostia, weil sich der
Verkehr aufgrund des heftigen Regens staute. Der Bus setzte ihn an einer
Rotunde kurz vor der Strandpromenade ab. Von dort aus ging er zu Fuß weiter.
    Camilla Roccas Kleinwagen stand nicht in der Allee. Aber Marcus
blieb eine Weile im Gewitterregen stehen und beobachtete den Bungalow, um sich
davon zu überzeugen, dass wirklich niemand zu Hause war. Erst dann verschaffte
er sich erneut Zutritt.
    Alles sah genauso aus wie bei seinem ersten Besuch: die Einrichtung
im Marinestil, der Sand, der unter seinen Schuhen knirschte. Nur der Wasserhahn
über der Küchenspüle war nicht richtig zugedreht worden, er tropfte. Das
Geräusch verlor sich in der Stille und vermischte sich mit dem Rauschen des
Regens.
    Marcus ging ins Schlafzimmer. Auf den Kissen lagen zwei
Schlafanzüge. Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen: Einer war der einer
Frau, der andere der eines Mannes. Die Nippesfiguren waren nach wie vor
ordentlich nebeneinander aufgereiht. Als er das erste Mal hier gewesen war,
hatte er diesen Ordnungszwang für einen Schutzmechanismus gegen die Angst
gehalten. Gegen das Chaos, das das Verschwinden des Sohnes angerichtet hatte.
Alles schien dort zu stehen, wo es hingehörte. Alles schien perfekt zu sein. Auffälligkeiten, sagte er leise vor sich hin und rief sich
damit ins Gedächtnis, wonach er Ausschau halten musste.
    Das Foto vom lächelnden Filippo sah ihn von der Kommode aus an.
Marcus spürte seinen Blick. Auf Camillas Nachttisch stand das Babyfon, von dem
er gedacht hatte, dass es dazu diente, den Schlaf eines neuen Kindes zu überwachen.
Er dachte an das Zimmer nebenan.
    Marcus betrat den Raum, der einst Filippo gehört hatte und jetzt
gerecht aufgeteilt worden war. Der Bereich, der ihn interessierte, war mit
einem Wickeltisch, einem Haufen Plüschtiere und einer Wiege ausgestattet.
    Wo ist das Kind, das ich schon vor mir sah? Was verbirgt sich hinter
dieser Inszenierung?
    Ihm fielen Bruno Martinis Worte ein: »Ihr Mann hat sie vor zwei
Jahren verlassen, sich mit einer anderen ein neues Leben aufgebaut. Die beiden
haben sogar einen Sohn.«
    Camilla hatte noch mehr Leid ertragen müssen. Ihr Mann hatte sie
verlassen. Aber sein Verrat bestand nicht darin, dass es eine andere Frau gab,
sondern darin, dass er mit ihr ein Kind hatte. Einen Ersatz für Filippo.
    Die schlimmste Tragödie ist nicht der Verlust eines Kindes, dachte
Marcus. Sondern die, dass das Leben trotzdem weitergeht. Und Camilla Rocca
wollte nicht aufhören, Mutter zu sein.
    Als er das erkannt hatte, nahm Marcus auch die Auffälligkeiten wahr.
Sie bestanden nicht in dem, was hier zu sehen war, sondern in dem, was nicht
hier war: Neben der Wiege fehlte das zweite Babyfon.
    Wenn der Empfänger in Camillas Zimmer stand, wo war dann der Sender?
    Marcus ging wieder ins Schlafzimmer und setzte sich auf das Ehebett
neben der Kommode. Er streckte die Hand aus und schaltete das Gerät ein.
    Ein anhaltendes Rauschen, die unverständliche Stimme der Finsternis.
Marcus legte sein Ohr an den Lautsprecher und versuchte etwas zu verstehen.
Nichts. Er drehte den Lautsprecher bis zum Anschlag auf. Lärm füllte das Zimmer.
Er wartete mit gespitzten Ohren. Die Sekunden vergingen, und er lotete die
Tiefe dieses Meeres aus Flüsterlauten aus, suchte nach einer minimalen
Abweichung, nach einem Ton, der anders war als die anderen.
    Dann nahm er ihn wahr. Da war etwas im Hintergrund des Rauschens,
das aus dem Lautsprecher kam. Ein anderes, rhythmisches Geräusch. Es war nicht
künstlich , es war lebendig: Atemzüge.
    Marcus nahm das Babyfon und lief mit dem Gerät durchs Haus, um nach
der Signalquelle zu suchen. Sie musste ganz in der Nähe sein, da diese Geräte
nur eine Reichweite von wenigen Metern hatten. Wo war sie also?
    Er riss sämtliche Türen auf, kontrollierte alle Zimmer. Als er vor
dem Hinterausgang stand, sah er durch die Maschen eines Fliegendrahtgitters
ganz verschwommen einen verwilderten Garten mit einem Geräteschuppen.
    Er verließ das Haus. Als

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