Der Seelensammler
eine gute Sache hältst: Was die
Pönitenziare da tun, ist illegal. Ihre Aktivitäten kennen weder Grenzen noch
Regeln.«
Sandra schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein und nippte daran,
ließ aber Schalber nicht aus den Augen. Anscheinend wartete er darauf, dass sie
noch etwas sagte. »David hat euch eingeweiht, stimmt’s?«
»Wir haben uns vor Jahren in Wien kennengelernt: Er war für eine
Reportage unterwegs, und ich gab ihm ein paar Tipps. Als er anfing, sich über
die Pönitenziare zu informieren, stellte er fest, dass sie über die
italienischen Landesgrenzen hinaus aktiv sind, der Fall also auch für Interpol
interessant sein könnte. Er hat mich ein paarmal von Rom aus angerufen und mir
seine bisherigen Erkenntnisse mitgeteilt. Und dann war er plötzlich tot. Wenn
er allerdings dafür gesorgt hat, dass du an meine Telefonnummer kommst, heißt
das, dass wir uns treffen sollten. Ich kann zu Ende bringen, was er angefangen
hat. Also, wo sind die Hinweise?«
Sandra war sich sicher, dass Schalber sie durchsucht hatte, als sie
noch bewusstlos gewesen war. Schließlich hatte er ihr auch die Pistole
abgenommen. Er wusste also, dass sie die Hinweise nicht bei sich hatte. Und sie
wollte sie ihm nicht einfach so überlassen. »Wir müssen seine Arbeit gemeinsam
fortsetzen.«
»Das geht nicht, vergiss es! Du wirst den nächsten Zug nach Mailand
nehmen. Jemand will dich tot sehen, du bist hier nicht sicher.«
»Ich bin Polizistin: Ich kann auf mich aufpassen und weiß, wie man
bei einer Ermittlung vorgeht.«
Schalber begann, nervös auf und ab zu laufen. »Ich arbeite lieber
allein.«
»Nun, diesmal wirst du von deinen Prinzipien abweichen müssen.«
»Sturkopf!« Er baute sich vor ihr auf und hob mahnend den
Zeigefinger. »Aber nur unter einer Bedingung.«
Sandra verdrehte die Augen. »Ja, ja, ich hab schon verstanden: Du
bist der Chef, und wir machen nur, was du sagst.«
Schalber staunte. »Woher wusstest du, was …«
»Ich weiß, was Testosteron mit dem männlichen Ego anstellt. Also
gut, wo fangen wir an?«
Schalber ging zu einer Schublade, nahm die Pistole heraus, die er
ihr abgenommen hatte, und gab sie ihr zurück. »Die Pönitenziare überprüfen
Tatorte. Nachdem ich gestern Abend in Rom angekommen bin, war ich in einer
Villa, die gerade von der Polizei untersucht wird. Ich habe dort ein paar Abhörwanzen
versteckt, weil ich die Hoffnung hatte, dass sich die Pönitenziare blicken
lassen, sobald die Spurensicherung das Feld geräumt hat. Kurz vor Tagesanbruch
habe ich ein Gespräch mitgehört. Es waren zwei, keine Ahnung, wer sie waren.
Sie haben sich über einen Serientäter namens ›Figaro‹ unterhalten.«
»Na gut, ich zeige dir Davids Hinweise. Und dann versuchen wir,
etwas über diesen Figaro herauszufinden.«
»Das klingt nach einer hervorragenden Idee.«
Sandra musterte Schalber. Mittlerweile hatte sie ihre Abwehrhaltung
aufgegeben. »Irgendwer hat meinen Mann ermordet. Heute Morgen hat jemand
versucht, auch mich umzubringen. Ich weiß nicht, ob es derselbe Täter war und
ob das etwas mit diesen Pönitenziaren zu tun hat. Vielleicht hat David auch
noch in anderen Dingen recherchiert.«
»Wenn wir sie aufspüren, werden sie es uns schon verraten.«
12 Uhr 32
Pietro Zinis einzige Gesellschaft waren Katzen. Er besaß
sechs Stück. Sie lagen im Schatten eines Orangenbaums oder strichen zwischen
den Blumentöpfen und Beeten seines kleinen Gemüsegartens mitten in Trastevere
umher. Das Viertel wirkte wie ein Dorf, das sich plötzlich von einer riesigen
Stadt umzingelt sieht.
Aus der weit offen stehenden Terrassentür kam Schallplattenmusik.
Antonin Dvořáks Serenade für Streicher brachte die
Gardinen zum Tanzen. Aber das konnte Zini nicht wissen. Er lag in einem
Liegestuhl und genoss die Musik sowie den Sonnenstrahl, der extra für ihn
zwischen den Wolken hervorgekommen zu sein schien. Zini war ein stämmiger
Mittsechziger. Die großen Hände, mit denen er normalerweise die Welt erkundete,
ruhten in seinem Schoß. Der weiße Stock lag zu seinen Füßen, und die schwarze
Sonnenbrille spiegelte eine inzwischen überflüssig gewordene Umwelt wider. Seit
er erblindet war, hatte er auf jede zwischenmenschliche Beziehung verzichtet.
Er verbrachte die Zeit zwischen Gemüsegarten und Haus und versank ganz in
seiner Musik. Er hatte mehr Angst vor der Stille als vor der Dunkelheit.
Eine der Katzen sprang auf den Liegestuhl und rollte sich in Zinis
Schoß zusammen. Zini strich über ihr dichtes
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