Der Seelensammler
Kurz darauf kehrte er mit einem
Tablett mit Rührei, Marmelade, Toast und einer dampfenden Espressokanne zurück.
»Du musst dringend etwas essen, sonst kommst du nicht wieder zu
Kräften.«
Tatsächlich war es mehr als vierundzwanzig Stunden her, dass sie
etwas gegessen hatte. Beim Anblick des Frühstücks merkte sie, wie groß ihr
Hunger war. Schalber schob ihr mehrere Kissen in den Rücken und stellte ihr
anschließend das Tablett auf den Schoß. Während sie aß, setzt er sich neben sie
aufs Bett, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme. Bis vor Kurzem
hatten sie noch äußerst förmlich miteinander kommuniziert, und jetzt wirkten
sie wie zwei Vertraute. Die Penetranz dieses Mannes irritierte sie, aber sie
sagte lieber nichts.
»Du hast dich heute Vormittag in große Gefahr begeben. Deine Rettung
war, dass mein Handy geklingelt und den Scharfschützen abgelenkt hat.«
»Du warst das also, der …«, sagte sie mit vollem Mund.
»Wie bist du an meine Nummer gekommen? Ich habe dich immer von einer
anderen Nummer aus angerufen.«
»Indem ich herausgefunden habe, dass David dich vom Hotel aus
angerufen hat.«
»Dein Mann war ein furchtbarer Sturkopf«, bemerkte Schalber.
Sandra ärgerte sich, dass er so über David sprach.
»Du weißt gar nichts über ihn!«
»Er war eine Nervensäge«, beharrte Schalber. »Hätte er auf mich
gehört, wäre er noch am Leben.«
Gereizt schob Sandra das Tablett beiseite und wollte aufstehen.
»Wohin willst du?«
»Ich ertrage es einfach nicht, wenn jemand so über ihn redet.« Immer
noch schwankend, lief sie um das Bett herum, um ihre Turnschuhe zu holen.
»Gut, geh ruhig, wenn du willst!«, sagte er und zeigte auf die Tür.
»Aber gib mir die Hinweise, die dir David hinterlassen hat.«
Sandra sah ihn erstaunt an. »Den Teufel werd ich tun!«
»David wurde ermordet, weil er jemanden aufgestöbert hat.«
»Ich fürchte, ich bin ihm begegnet.«
Schalber stand auf und zwang sie, ihn anzusehen.
»Was soll das heißen, du bist ihm begegnet?«
Sandra band sich die Schnürsenkel zu, hielt jedoch kurz inne.
»Gestern Abend.«
»Und wo?«
»Was stellst du nur für Fragen! Einem Priester begegnet man am
ehesten in einer Kirche.«
»Dieser Mann ist kein normaler Priester.« Schalbers Bemerkung ließ
sie hellhörig werden. »Sondern ein Pönitenziar .«
Schalber ging zum Fenster, riss die Läden auf und betrachtete
die schwarzen Wolken, die sich erneut über Rom zusammenzogen. »Welches ist das
größte Kriminalarchiv der Welt?«, fragte er.
Sandra war sprachlos. »Keine Ahnung … Das von Interpol, nehme ich
an.«
»Falsch!«, erwiderte Schalber und drehte sich mit einem zufriedenen
Lächeln um.
»Das vom FBI?«
»Auch das nicht. Es befindet sich in Italien, genauer gesagt im
Vatikan.«
Sandra verstand immer noch nicht, hatte jedoch das Gefühl, auf der
Leitung zu stehen. »Wozu braucht die katholische Kirche ein Kriminalarchiv?«
Schalber bat sie erneut, sich zu setzen, während er nach den
richtigen Worten suchte. »Der Katholizismus ist die einzige Religion, die das
Sakrament der Beichte kennt: Die Menschen gestehen ihre Sünden einem Diener des
Herrn, und im Gegenzug wird ihnen verziehen. Doch manchmal ist ihre Schuld so
groß, dass ihnen ein einfacher Priester keine Absolution erteilen kann. Das
gilt für sogenannte Todsünden, also für Sünden, die eine schwerwiegende Materie
zum Gegenstand haben, mit vollem Bewusstsein und mit bedachter Zustimmung
begangen wurden.«
»So etwas wie Mord zum Beispiel.«
»Ganz genau. In diesen Fällen notiert der Priester den genauen
Wortlaut der Beichte und leitet sie an eine übergeordnete Stelle weiter: an ein
Kollegium aus hohen Prälaten, das in Rom zusammentritt, um über solche Fälle zu
urteilen.«
Sandra staunte. »Ein Gerichtsorgan für die Sünden der Menschen!«
»Das Seelentribunal.«
Eine Bezeichnung, die dem Ernst dieser Aufgabe angemessen ist,
dachte Sandra. Welche Geheimnisse wohl schon bis zu dieser Institution
vorgedrungen waren? Nun verstand sie, was David so daran interessiert, ihn zu
seinen Recherchen veranlasst hatte.
Doch Schalber war noch nicht fertig: »Es wurde im zwölften
Jahrhundert unter dem Namen Paenitentiaria Apostolica eingesetzt, wenn auch zu einem eher nebensächlichen Zweck. Damals stellte man
fest, dass außergewöhnlich viele Pilger in die Ewige Stadt kamen – um die
Basiliken zu besuchen, aber auch, um sich ihre Sünden vergeben zu lassen.«
»Was dann zum berühmten
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